Neuer Stoff für den Kleiderschrank

von Redaktion

Die Deutsche Meisterschule für Mode stellt ihre Abschlusskollektion „Argonautica“ vor

Gottheit oder Kämpferin? Mode von Lea Igl. © Mike Narsesian

Mut zur Farbe beweist Laura Meißner. © Mike Narsesian

Schiff ahoi! Entwurf aus der Kollektion „Argonautica“.

Wie gemalt: Pauline Buschert entwarf „Oxy“. © M. Narsesian

Charlotte Thüning macht den Körper selbst zu Mode. Am Rücken streckt dieses Kleid die Zunge heraus. © Mike Narsesian

Wir dürfen uns die Argonauten sehr heutig vorstellen. Jene Truppe eingeschworener Gefährten, die in längst vergangenen Zeiten mit ihrem Schiff, der Argo, auf der Jagd nach dem Goldenen Vlies sind. Dieses sagenhafte Fell des Widders Chrysomallos, das Grund für den ganzen folgenden Schlamassel sein wird, ist so etwas wie die wertvollste Klamotte der griechischen Mythologie; ein „Must-have“ der Antike.

Alles alte Geschichten? Blödsinn. Denn gerade hatte für zwei Abende die Argo in Münchens Muffathalle geankert, wo die Absolventinnen und Absolventen der Deutschen Meisterschule für Mode, Argonauten sind sie allesamt, in drei jeweils ausverkauften Modenschauen ihre Abschlussarbeiten präsentierten. Ein Abend, der in seinen besten Momenten Handwerk, Kunst und Kreativität eindrücklich verwebte.

Thematisch hatten die Studierenden zweierlei zu bewältigen. Zusammen hatten sie eine Kollektion zum Thema „Argonautica“ erarbeitet, bevor sie im Anschluss Individuelles präsentieren durften – zu frei gewählten Themen. Das Gemeinschaftswerk, die „Heldenreise“, von der es, so Studienleiter Roland Müller-Neumeister, zu erzählen galt, erschöpfte sich indes nicht in der Sage. Der Argonauta argo – prosaischer: Großes Papierboot – ist ein Tintenfisch, der mit seiner weißen Schale an das Hochzeitskleid erinnert, das Jeanne Villepreux-Power 1815 für Prinzessin Maria Karolina von Neapel-Sizilien entwarf. Die Französin (1794-1871) war jedoch nicht nur Schneiderin, sondern auch Autorin, vor allem aber Meeresbiologin und forschte zum – Sie ahnen es – Argonauta argo. Womit der Kreis geschlossen ist, und das Feld für die angehenden Designerinnen und Designer aufs Trefflichste bereitet.

Sie wussten es ganz wunderbar zu nutzen: Mäntel wie das Wallen der Wellen, dunkle Stoffe, sehr klassisch und sehr bequem, dominieren „Argonautica“. Es sind Entwürfe, die ihren besonderen Dreh erst auf den zweiten Blick offenbaren – so, wie eben auch die mannigfaltigen Begabungen der in ärmsten Verhältnissen geborenen Villepreux-Power einst erst nach und nach zutage traten. Hier schillert mal ein Oberteil schuppig, dort erahnt man die Tentakel einer Seeanemone. Die Designerinnen und Designer haben diese Kollektion ihrer französischen Vorgängerin gewidmet und es geschafft, eine Mode-Sprache zu entwickeln, die den Freigeist der Autorin ebenso würdigt wie die Exaktheit, vielleicht auch das Understatement der Wissenschaftlerin.

Im Anschluss stellten die neun Frauen und drei Männer des Abschlussjahrgangs dem Publikum ihre jeweils individuellen Kollektionen vor. Gemein ist den meisten dabei, dass dunkle, schwere Farben dominieren. Es ist Mode, die oft wandelt auf dem Grat zwischen Klasse und Krawall – und die idealerweise über einen ganz eigenen Witz verfügt.

Zum Beispiel Charlotte Thünings hinreißende Kollektion „Ich Form“: Klassische Schnitte, klassische Farben, klassische Stoffe kombiniert mit einem subversiven Humor, der den menschlichen Körper zum Bestandteil der Kreation macht. Da gibt es dann etwa auch ein Kleid, das seiner Trägerin vom Saum her selbst die Hände zum Halten reicht. Ein Spaß, der zum Nachdenken darüber einlädt, was wir eigentlich verhüllen, wenn wir uns kleiden – und was nicht.

Eine unmittelbare Reaktion auf die Krisen, Kriege und Katastrophen der Welt ist Keanu Bohatschs „Things I fear“: Leder, Nieten, strenge, enge Schnitte. Kleidung wie Rüstungen, die ihre Träger schützen sollen – und kräftiger erscheinen lassen, als sie möglicherweise sind. Laura Meißner hat dazu mit „Femme de la lumière“ den Gegensatz inszeniert. Luftig, oft in den leichten Farben des Frühlings kommt ihre Kollektion daher. Zarte Impressionen in Tüll.

Bei Regina Maria Popps Show „A State of Bliss“ wird die eigene Handschrift der Designerin in zahlreichen Bändern, Knoten, Schleifen sehr deutlich. Dabei ist die Coolness, die diese Entwürfe allesamt ausstrahlen, nie behauptet, sondern stets grundsätzliche Haltung. Das gilt auch für die wunderbare und selbstbewusste Arbeit „Oxy“ von Pauline Buschert, die an diesem Abend am konsequentesten die Verwandtschaft zwischen Mode und Kunst auslotet und Kleidung zeigt, die wie gemalt wirkt.
MICHAEL SCHLEICHER

Artikel 2 von 11