„Ich glaube an die großen Bilder“

von Redaktion

Thorleifur Örn Arnarsson über seine Inszenierung von „Tristan und Isolde“ für Bayreuth

Es ist Festspielzeit: Bayreuth eröffnet morgen mit „Tristan und Isolde“, inszeniert von Thorleifur Örn Arnarsson. © Daniel Vogl

„Ein großer Künstler wie Wagner drückt dir keinen Schlüssel in die Hand, damit du in seinem Zimmer etwas findest“, sagt der Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson, hier in einer Probenpause von „Tristan und Isolde“ auf dem Grünen Hügel. © Daniel Vogl/dpa

Mehr Klischee geht fast nicht: In seiner kleinen isländischen Behausung nahe eines Vulkans ereilte Thorleifur Örn Arnarsson ein Anruf aus Bayreuth. Und nun ist er verantwortlich für die Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“, mit der am Donnerstag die Festspiele eröffnet werden. Der 46-Jährige, Sohn einer Regisseurin und eines Schauspielers, stammt aus Reykjavik, studierte in Berlin Regie, war fest engagiert in Wiesbaden und an der Berliner Volksbühne, kam also übers Schauspiel zur Oper.

Wie ist es, „Tristan“ in Bayreuth für Nerds zu inszenieren, die alles schon zu wissen glauben?

Ich find das sehr spannend. Das große Lob, das ich bei meinen Produktionen oft bekomme, ist: Man will mehr als einmal reingehen, weil es noch etwas zu entdecken gibt. Ich versuche ja immer, mehrere Ebenen gleichzeitig zu bedienen. Der Nichtkenner soll etwas mitnehmen können genauso wie der Experte. Auch für mich als Zuschauer ist es ja schwierig bis langweilig, wenn ich das Konzept einer Aufführung nach fünf Minuten verstanden habe und alles vorhersehbar wird. Ich finde es immer schade im Theater, wenn man sich irgendwann zurücklehnt. Man muss auf der Stuhlkante bleiben, auch in Bayreuth.

Sind Tristan und Isolde reale Figuren oder doch mehr Proto- oder Archetypen?

Sie sind absolut real. „Tristan“ ist ein unfassbar psychologischer Stoff. Man fragt sich, wer hier mehr von wem gelernt hat: Wagner von Freud oder umgekehrt? Gerade im zweiten Akt gibt es eine irrsinnige Distanz zwischen der Schönheit der Musik und der Grauenhaftigkeit der Textaussage. Auch die Erwartungen der beiden Titelfiguren liegen wahnsinnig weit auseinander. Dazu kommt noch: Die Welt lässt diesen beiden Menschen keinen Platz. Deraus entsteht eine extrem große Spannung.

Wie gefährlich ist es, „Tristan“ zu inszenieren angesichts der enormen Emotionalität der Musik?

Man muss, wie es übrigens die abendländische Musik selbst tut, mit Kontrapunkten arbeiten. Teilweise muss man also dagegen inszenieren, teilweise darf man sich auch mitreißen lassen. Wie Sie wissen, erlegt einem Bayreuth eine starke Schweigepflicht auf. Ich darf also nicht über die Inszenierung sprechen. Wir werden aber großen Wert auf die Vorgeschichte legen und auf die biografischen Hintergründe der Figuren. Und wir zeigen den dauerhaften Kampf zwischen ihrem inneren Willen und dem Außen, dem sie sich fügen müssen.

Isolde stirbt den „Liebestod“, wie es bei Wagner heißt. Ein Happy End? Oder doch ein zutiefst nihilistischer Ausgang?

Schweigepflicht! Sagen wir es so: Große Künstler wie Wagner geben hier keine eindeutige Antwort. Es sterben zwei Menschen. Aber sie entschließen sich zu gehen, weil sie in dieser Welt nicht existieren wollen. Das ist tieftraurig und tragisch – und zugleich ein selbstbewusster, selbstbestimmter Weg.

Das Konzept für Ihren „Parsifal“ in Hannover ist fast parallel entstanden, in Augsburg haben Sie unter anderem „Lohengrin“ gezeigt. Würden Sie sich als Wagnerianer bezeichnen?

Im Nachhinein war ich mit meinem „Lohengrin“ nicht zufrieden, genauso wie mit meinem ersten Shakespeare. Das ist zunächst ein Kennenlernen. Ein großer Künstler wie Wagner drückt dir keinen Schlüssel in die Hand, damit du in seinem Zimmer etwas findest. Dort findest du eher einen weiteren Schlüssel für noch ein anderes Zimmer. Mit dem „Lohengrin“ wurde jedenfalls ein tiefes künstlerisches Interesse geweckt. Und ich könnte übermorgen mit dem nächsten „Tristan“ anfangen, weil diese Werke unglaubliche Entdeckungsreisen bieten. Meine Reise mit dem Titelpaar dieser Oper beginnt erst. Aber wie Sie wissen, ist die Hauptquelle von Wagners „Ring“ das altisländische Epos der „Edda“. Ich habe schon eine „Ring“-Bearbeitung in Kassel gemacht. Ich würde also sagen: Vor dem nächsten „Tristan“ wünsche ich mir erst mal den kompletten „Ring“.

Fühlen Sie sich also als Mann des Nordens diesen Stoffen mehr verwandt als anderen?

Ja. Unsere Sagenwelt trägt und bestimmt einen irgendwie. Mein Interesse für Mythologie als Folie für unsere zivilisatorischen Umbrüche war schon immer stark. Wir können uns wiedererkennen in diesen Stoffen. Der Fall der Götter aus diesen Sagen erinnert doch sehr an unseren zivilisatorischen Um- und vielleicht Zusammenbruch gerade. Wagner lebte ja auch in einer riesigen Umbruchszeit mit ihren Revolutionen, ob auf politischem oder künstlerischem Gebiet.

Wie kommt man eigentlich zu einer Bayreuth-Regie? Klingelt irgendwann das Telefon, und Katharina Wagner ist dran?

Ich habe eine kleine Hütte im isländischen Hochland in der Nähe des Vulkans Hekla – der Heimat der Götter. In einer dunklen Winternacht klingelte das Telefon. Und mir wurde die vorsichtige Frage gestellt, ob ich Interesse an einem Gespräch mit Frau Wagner hätte. Ich habe dann in der Januar-Nacht unter den Nordlichtern volle Dröhnung „Tristan“ angehört. Das kann man ja dort machen, wenn man allein ist. Und ich dachte mir danach: Ja, sehr gern würde ich das Angebot annehmen. Das Einzigartige in Bayreuth ist: Jeder, der hier arbeitet, tut das, weil er in Bayreuth sein will. Hier herrscht wirklich ein ganz besonderer Geist. Alle rudern in dieselbe Richtung. Klar gibt es manchmal harte Gespräche, aber das gehört zur Kunst dazu – weil man dasselbe Ziel verfolgt.

Ist Ihnen Richard Wagner sympathisch?

Natürlich gibt es schlimme Schriften, man denke nur an seinen grauenvollen Antisemitismus. Aber darin spiegelt sich auch sehr viel Neid auf andere, die ihm seiner Ansicht nach im Wege standen – denken Sie an den Kollegen Meyerbeer. Dagegen ist seine Schrift „Kunst und Revolution“ hochkarätige Philosophie. Ich sage mir immer: Menschen, die so tiefe Einblicke in den Schmerz, überhaupt in die Psyche werfen können, haben viel von dem auch in sich drin. Vielen mag Wagner nicht sympathisch gewesen sein. Aber dass ein Künstler es schafft, sich in den Werken auf so intensive Weise seinen Schattenseiten auszusetzen, macht ihn mir sehr sympathisch. Das erfordert eine Ehrlichkeit, die man vielleicht nicht im realen Leben schafft, wohl aber in der Kunst.

Viele Regisseure haben Angst vor dem Pathos, das gerade zu Wagner gehört. Wie geht es Ihnen?

Vieles im deutschen Theater ist mir zu unterkühlt. Ich komme aus einer Tradition, in der diese Angst nicht entsteht. Ich glaube sogar, ich bin ein barocker Theatermacher. Ich glaube an die großen Bilder und möchte, dass alle mitgerissen werden. Man muss nur die Grenze beachten, an der Pathos zu Kitsch wird. Ich gehe ja selbst ins Theater, um gepackt zu werden – vom Herzen und vom Kopf her. Pathos gehört zum Leben. Ist es Pathos, wenn du Liebeskummer hast? Oder wenn du dein Kind zum ersten Mal in den Händen hältst?

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