Menschlich bleiben

von Redaktion

Naneci Yurdagül zeigt im NS-Dokuzentrum eine Kunstintervention

Wann ist ein Mensch ein Mensch – und wie sieht eigentlich „ein Deutscher“ aus? Mit diesen Fragen spielt Naneci Yurdagül auf Plakat zu seiner Kunstintervention „Made in Germany“. © Naneci Yurdagül/NS-Dokumentationszentrum München (3)

„Dunkel Deutschland“: Grau eingefärbte Deutschlandflaggen hat Yurdagül gehisst.

Klingt einfach, hat aber noch nicht jeder kapiert: Ein Mensch ist ein Mensch – und verdient es, in Würde leben zu dürfen.

Drei Flaggen sind gehisst. Deutschlandflaggen. Doch nichts daran ist Schwarz, Rot, Gold. Der Künstler Naneci Yurdagül hat sie grau eingefärbt. Ein Symbol für Dunkeldeutschland. Und Mahnung, „Kunstintervention“ an diesem Gründungsort der NSDAP in München. Das NS-Dokumentationszentrum liegt am Standort des „Braunen Hauses“, der ehemaligen Parteizentrale der NSDAP. Wenn Yurdagül die geschichtsträchtigen Deutschlandfarben nun just an dieser Stelle jedem Pigment entzogen im Wind wehen lässt, ist das ein irritierender Denkanstoß: Wie steht es eigentlich heute, fast 90 Jahre nach Kriegsende, um die Demokratie in diesem Land?

Schwarz, Rot, Gold. 1919 waren es die Farben der ersten deutschen Demokratie. Schwarz, Rot, Gold. Später besannen sich die Gründer der Bundesrepublik Deutschland darauf, wählten sie 1949 nach dem Ende des Nazi-Regimes für die Flagge des neuen Staates. Schwarz, Rot, Gold. Während der Fußball-Europameisterschaft sah man Deutschlandfähnchen an Autos flattern oder die Farben in geschminkten Gesichtern leuchten. Doch Schwarz, Rot, Gold steht auch für erstarkten Nationalismus, Rechtsruck, Extremismus. Wieder einmal.

Yurdagül, geboren 1983 in Frankfurt am Main, zeigt zwei Werke im NS-Dokuzentrum und auf dem davor gelegenen Max-Mannheimer-Platz, die gerade in der Beziehung zueinander wirken. Denn wer erst die Flaggen-Arbeit „Dunkel Deutschland“ sieht und danach im Foyer des Hauses auf „a mentsh is a mentsh“ trifft, versteht: Demokratie ist nichts Verkopft-Theoretisches, irgendetwas, das „die Politik“ macht. Demokratie sind wir. Ein jeder von uns kann sie durch das eigene Handeln stärken oder schwächen. Wer anderen die Menschenwürde abspricht, handelt demokratiegefährdend. Denn a mentsh is a mentsh – egal, woher er kommt, welches Geschlecht er hat, wie alt er ist, wie schön, wie klug, wie nervig oder durch den Wind: Gleiches Recht für alle.

Dass das noch immer nicht in allen Köpfen ist, zeigt ein zweites Projekt des NS-Dokuzentrums. Zum achten Jahrestag des rechtsterroristischen Anschlags am Münchner Olympia-Einkaufszentrum am 22. Juli 2016 bringt das Haus in Kooperation mit der Initiative „München OEZ Erinnern!“ das Heft „Tell their Stories“ heraus. Geschrieben wurden die darin veröffentlichten Texte von Angehörigen der Opfer Armela, Can, Dijamant, Guiliano, Hüseyin, Roberto, Sabine, Selçuk und Sevda – mit dem Ziel, neben deren Namen auch deren Geschichten im kollektiven Gedächtnis zu verankern. Alle Beiträge vereint die Hoffnung, dass im Andenken an die Ermordeten und in Solidarität mit den Hinterbliebenen alles dafür getan wird, Hetze, Hass und Menschenverachtung eine Praxis des Zusammenhalts und der Empathie entgegenzusetzen. Der Mentshlichkeit.
KATJA KRAFT

Bis 6. Oktober

ist die Kunstintervention zu sehen. „Tell their Stories“ erhält man kostenfrei im NS-Dokuzentrum, Max-Mannheimer-Platz 1, und online unter stories.nsdoku.de/tell-their-stories.

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