SALZBURGER FESTSPIELE

Die Stille nach der Wucht

von Redaktion

„Il canto sospeso“ und „Il prigioniero“ bei der „Ouverture spirituelle“

Gefeiert: das Radio-Symphonieorchester des ORF unter Dirigent Maxime Pascal (Mi.) sowie die Solistinnen Freya Apffelstaedt (li.), Caroline Wettergreen, Robin Tritschler und Sprecher Tobias Moretti (re.). © Marco Borrelli/Salzburger Festspiele

Am Ende steht das Schweigen. Und dies war wahrscheinlich das größte Kompliment, das das Publikum in der Salzburger Felsenreitschule den Ausführenden geben konnte. Schon zur Pause hatte hier eine gefühlte Ewigkeit niemand zu klatschen gewagt – um damit die Spannung im Raum endlich zu lösen. Zu tief saß da bei den meisten der Eindruck von Luigi Nonos „Il canto sospeso“. ein „unterbrochener Gesang“, bei dem der Komponist die letzten Briefe von Menschen vertonte, die im Zweiten Weltkrieg zum Tode verurteilt und von den Faschisten hingerichtet wurden. Widerstandskämpfer, aber auch solche, die aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Religion brutal ermordet wurden. Die beiden Jüngsten gerade einmal 14 Jahre alt.

Aus ihren emotionalen Abschiedsworten baute Nono eine Art neunteilige Kantate, die vom ORF-Radio-Symphonieorchester Wien (RSO) mit viel Einfühlungsvermögen umgesetzt wurde. Angetrieben von Dirigent Maxime Pascal, der die subtilen Schattierungen der Partitur präzise herauskitzelte und die stille Trauer dabei ähnlich intensiv wirken ließ wie das machtvolle Aufbäumen des BR-Chores. Ein Spiel der Kontraste, auf das sich die Solistinnen Caroline Wettergreen und Freya Apffelstaedt ebenso exzellent verstanden wie ihr Tenorkollege Robin Tritschler bei seinem eindringlichen Klagegesang. Sie wurden dabei immer wieder unterbrochen von den Originalbriefen, die in deutscher Übersetzung von Tobias Moretti gelesen wurden.

Als kaum weniger an die Nieren gehend erwies sich in der zweiten Hälfte Luigi Dallapiccolas Operneinakter „Il prigioniero“. Ein weiteres Stück, das zu Beginn der 1950er-Jahre mit politischer Willkür abrechnete und sich trotz Schauplatz im Spanien des 16. Jahrhunderts als eine zeitlose Parabel präsentiert. In deren Zentrum steht ein Verurteilter, dem die Inquisition in einem perfiden psychologischen Folterspiel den Weg in die Freiheit vorgaukelt. Der Passionscharakter, der dieser Partitur innewohnt, wurde dabei nicht nur durch den BR-Chor verstärkt, der seine Erfahrung aus der Sakralmusik ausspielte. Auch Bariton Georg Nigl unterstrich in der Titelrolle wieder einmal seinen Ruf als Spezialist fürs Sperrige und startete zunächst mit oratorienhaft instrumentaler Stimmführung. Kurz bevor dann im dramatisch aufgeladenen Dialog mit seiner von Tanja Ariane Baumgartner verkörperten Mutter der aufgestaute Frust und die Verzweiflung umso rauer aus beiden herausbrachen.

Ein würdiger Gegenspieler Nigls aber war vor allem John Daszak, der seinen heldisch gestählten Charaktertenor süßlich einschmeichelnd zu führen verstand, sich aber auch scharfkantig seinen Weg durch die Orchestermassen bahnte. Denn das RSO bekam hier vom Dirigenten noch einmal Gelegenheit, ordentlich aufzutrumpfen. Nur um dann beim Aufkeimen der (falschen) Hoffnung in kammermusikalisch zurückgenommener Besetzung plötzlich ebenso zart und transparent zu agieren.

Ein würdiger Abschluss für die dramaturgisch wieder einmal klug zusammengestellten Konzerte der „Ouverture spirituelle“ der Salzburger Festspiele und ein wichtiges Statement. Vor allem am Abend vor der Premiere des im Jahr 1942 entstandenen „Capriccio“, mit dem sich einst der Festspielmitbegründer Richard Strauss ins Unpolitische – Kunst um der Kunst willen – flüchtete. Was vom Publikum sehr wohl registriert und nach dem Durchbrechen der Stille umso lauter gefeiert wurde.
TOBIAS HELL

Artikel 3 von 11