Brahms’ „Schicksalslied“ als Ergänzung zu Mendelssohn Bartholdys „Lobgesang“-Symphonie? Geradezu zwingend erwies sich die Zusammenstellung der beiden Werke beim Konzert der Wiener Philharmoniker im Rahmen der Salzburger Festspiele. „Ouverture spirituelle“ ist deren erste Konzertreihe überschrieben. Und ein spirituelles Konzert war unter Dirigent Herbert Blomstedt im Großen Festspielhaus auch zu erleben.
Brahms´ Vertonung eines Hölderlin-Gedichtes thematisiert den Zusammenhang von menschlichem Leiden am ungewissen Schicksal und der davon unberührten, beständigen Welt des Metaphysischen. Der gerade 97 Jahre alt gewordene Herbert Blomstedt betonte das Düstere, Fahle in der Partitur, und hätte der Komponist nicht noch einen C-Dur-Schluss als Kommentar angefügt, so wäre man verzweifelt zurückgeblieben.
Mendelssohns „Lobgesang“ gibt Antwort auf die Erfahrungen der menschlichen Abgründe: „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn.“ Blomstedt gestaltete die Übergänge zwischen Dunkelheit und Licht behutsam und mit subtilen Schattierungen. Die Wiener Philharmoniker folgten seinen feinen Zeichen schlafwandlerisch sicher. Das war schon zu Beginn, im rein instrumentalen Teil zu erleben: keine abrupten Übergänge, sondern sich entwickelnde Klangkaskaden, bei denen immer wieder die wunderbar milden Bläser aufleuchteten, um dann mit dem warmen Streicherklang zu verschmelzen. Den Schwerpunkt des Werkes bildet freilich der Kantatenteil. Hier brillierte der Wiener Singverein. Das Triumphale lag ihm ebenso wie das Meditative.
Tenor Tilman Lichdi sang mit feinster Diktion und delikatem Piano. Ihm zur Seite stand Christina Landshamer, die ihren Sopran zwar in schönem Legato fließen ließ, in den Höhen geriet die Stimme aber ins Flackern – ein Kontrast zur etwas dunkler timbrierten Elsa Benoit. Dass dies mehr als ein Konzert war, merkte auch das Publikum, das beim Applaus sofort geschlossen aufstand. Es spürte, dass Blomstedt, der nur noch mit Unterstützung auf die Bühne gehen kann, am Pult aber eine enorme Präsenz zeigte, eine Botschaft in unsere Zeit der Unsicherheit schickte: das Spirituelle zu erfahren, das Schöne und Gute wahrzunehmen. Das dürfte man auch im Januar in München erleben, wenn Blomstedt den „Lobgesang“ beim BR aufführt.
THOMAS ROTHKEGEL