Der Turmbau zu Babel ist ein Symbol, „dass unsere Menschheit, sofern sie einig ist und ihre Kraft nicht in törichtem Gegeneinander vergeudet, befähigt ist, das Höchste zu erreichen“, schreibt Stefan Zweig. Leider wollen auch (v. li.) Evelyne Gugolz, Steffen Höld, Isabell Antonia Höckel, Nicola Mastroberardino, Barbara Melzl und Vincent Glander zu hoch hinaus. © Sandra THEN
Was soll man sagen: Regisseur Thom Luz hat Stefan Zweig verstanden. Hat dessen Texte durchdrungen, die Biografie des Autors vorbildlich durchgearbeitet. Beides feinsinnig miteinander verwoben, von Duri Bischoff ein stimmiges Bühnenbild fertigen lassen. Und doch funkelt Luz’ Inszenierung von Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ nur verhalten. Anders ausgedrückt: Wenn eine Premierenbesucherin ihre Begleitung am Samstagabend auf dem Weg hinaus aus dem Landestheater Salzburg leicht genervt fragt: „Was sollte das alles? Ich habe nichts verstanden“, ist das Ziel von Theater verfehlt.
Klar könnte man einwenden, die Dame hätte sich besser vorbereiten sollen. Hätte das Original lesen, sich mit Zweigs Biografie beschäftigen sollen. Denn wer im Bilde ist, erfreut sich an Luz’ Einfällen. Er tobt sich aus, will besonders viele Verweise, Anspielungen, Zitate unterbringen. Leider hat das alles genau deshalb ein bisschen was von Doppelstunde Deutsch-LK. Und wer am lautesten klatscht, zeigt, dass er am meisten verstanden hat.
Luz kombiniert mit Dramaturgin Katrin Michaels Passagen aus den „Sternstunden“ mit Zitaten aus Briefen und anderen Werken des Schriftstellers zu einander überlappenden Klang- und Textcollagen, die sich für alle, die Bescheid wissen, zu einem erschütternden Bild der hoffnungsvollen Hoffnungslosigkeit fügen. Die aber für jene, die das Werk nicht kennen, wirken müssen wie eine Aneinanderreihung der „Wurfsendungen“ bei Deutschlandfunk Kultur: ein Gedankenstrom, nicht linear erzählt, sondern chaotisch, abgehackt und assoziativ.
Das wäre in der Theorie ein stimmiger Zugang zu Zweigs „Sternstunden der Menschheit“, die letztlich auch wie ein Lichttechniker mit dem Scheinwerfer auf verschiedene Momente der Geschichte schwenken. Unterschiedliche Biografien beschreibt Zweig darin in historischen Miniaturen. Dabei interessieren ihn nicht die offensichtlichen Helden wie Cäsar, sondern Cicero, nicht Napoleon, sondern Marschall Emmanuel de Grouchy, statt Südpol-Bezwinger Roald Amundsen der Mann, der an der Expedition gescheitert ist: Robert Scott. Zweig faszinieren die einschneidenden Momente, in denen Geschichte gemacht wird. Es ist ein Werk, das einen auf die eigene Existenz, das eigene Handeln im Kleinen und die Entwicklungen im Großen zurückwirft. Und auf die Frage: Schreibt das Schicksal die Geschichte – oder haben wir es selbst in der Hand?
Bei den sechs Schauspielerinnen und Schauspielern, die da über die Bühne stolpern, scheint die Antwort klar. In einem Archiv der Weltgeschichte klettern und springen sie wie Kinder. Schlüpfen in Kanonenrohre, bauen Babel’eske Türme, verwandeln sich in Statuen – und bewerfen sich mit Munition. Doch die Kugeln sind nicht aus Eisen, es sind zerknüllte Papiere, darauf eine scharfe Waffe: Worte. Zweigs eindringliche Kommentare zum Weltgeschehen.
Zu Beginn lässt Luz die Lebensdaten des Autors einblenden. 1881 geboren in Wien, 1942 gestorben in Brasilien. Dazwischen apokalyptische Entwicklungen, die erschreckend an die heutigen erinnern. Die vielen Querverbindungen zwischen Zweigs Werk und Biografie arbeitet Luz aus. Erzählt Zweigs Flucht ins Exil im Windschatten von dessen Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe, den Sternstunden des alten Kontinents. Hinterfragt als Schweizer durchaus kritisch, wie neutral man sich in einer kriegerischen Welt verhalten darf. Einmal versteckt sich Nicola Mastroberardino vor den Schlägen der anderen unter einem Theaterbau: ein eskapistisches Festhalten an einer Welt von gestern. Obwohl man sich dem Heute stellen müsste?
Dies sind die stärksten, weil unmittelbarsten Szenen. Jene, die nicht den Verstand zum Entschlüsseln anregen, sondern geradewegs berühren. Wenn Isabell Antonia Höckel auf Portugiesisch Zweigs Weggefährten aus Brasilien zu Wort kommen lässt. Den Journalisten zum Beispiel, der den Autor, der wenig später den Freitod wählt, beim Verfassen seiner Abschiedsbriefe überrascht. Oder wenn in großen Lettern Sätze eingespielt werden, die wir auch heute am liebsten ignorieren würden: „Wir als Menschen haben kein Recht, in diesen Tagen glücklich zu sein. Wir sind nicht besser und mehr wert als all die anderen, die drüben gejagt und vertrieben werden“ – da bewerfen die sechs die Leinwand mit Steinen. Doch es hilft nichts, der Text weicht aus, fliegt einfach etwas höher, um weiter in unser Bewusstsein zu flackern.
Unterlegt ist all das von der angenehm irritierenden brasilianischen Live-Musik. Zwischen beschwingt und melancholisch. Zweig selbst sah Musik als die Sprache, „die gleich zu allen Seelen spricht, die alle Grenzen überfliegt“. Nicht von ungefähr sind es die Musiker, die als Erste auftreten. Und in deren Spiel die Gefühle kumulieren. „Die Welt wird wacklig“, schreibt Zweig in den Dreißigern. Sie ist es noch immer. „Aber in ihm strömte das Licht, und unhörbar dröhnte das Zimmer von der Musik des Alls.“
Herzlicher Applaus, einzelne Buhs für die Regie.
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heute, 30. Juli, 1., 2., 4., 6. und 8. August; Restkarten mit Glück unter 0043/ 6628 0455 00.