BAYREUTHER FESTSPIELE

Jetzt mal mit Handwerk

von Redaktion

Zu einem bösen Früchtchen wird der kleine Hagen von Alberich (Olafur Sigurdarson) verzogen. © Enrico Nawrath

Die erste Frau beim „Ring“ in Bayreuth, das stimmt schon mal nicht. 1991 und 1992 war das, da dürfte Simone Young bereits im Graben gesessen haben. Damals, als Daniel Barenboim die vier Opern dirigierte und sie ihm assistierte. Manchmal ging der Meister raus ins Parkett, um den Klang zu kontrollieren, und die Assis durften ran – so funktioniert das am Grünen Hügel. Nun, nach gefühlt unzähligen Wagner-Einsätzen, darunter einige „Ringe“, ist die Australierin zurück und dort, wo sie (auch) hingehört: Sie debütiert bei der „Rheingold“-Wiederaufnahme

Man bemerkt die enorme Erfahrung, auch mit der kniffligen Akustik. Zwei Stunden, 35 Minuten, das hört sich langsam an. Doch die gefühlte Zeit ist eine andere. Simone Young ist mit dem Festspielorchester flüssig und flexibel unterwegs. Dort, wo es schön und wichtig wird, verweilt sie, ein geschmäcklerisches Auskosten gibt‘s mit ihr aber nicht. Es ist das balancierteste Dirigat bislang in dieser Premierenwoche. Alles drin, alles dran. Doch keine Extravaganzen, keine Eitelkeiten, kein Überdehnen und Überreizen der Partitur. Eine Kapellmeisterin im besten Sinne, die um Scharnierstellen, Entwicklungslinien, Zuspitzungen und Mixturen weiß. Die Sängerinnen und Sänger ins rechte Licht rückt und den Laden zusammenhält, wenn Wotan als Wagner-Crooner frei mit dem Metrum umgeht.

Schnell ist da der Begriff „Routinier“ zur Hand. Doch was mancher abwertend versteht, braucht Bayreuth. Die besten Dirigate dort gehörten und gehören den Handwerkern. Horst Stein und Wolfgang Sawallisch zählten einst dazu, heutzutage ist es (zugegeben auf manchmal eigenwillige Art) Christian Thielemann. Im dritten Jahr bekommt der aktuelle „Ring des Nibelungen“ einen musikalischen Anker, nach Cornelius Meister 2022 und Pietari Inkinen 2023, die etwas anfechtbar unterwegs waren.

Auf vokaler Seite imponieren in diesem „Rheingold“ vor allem die Partien der zweiten Reihe. Nicholas Brownlee singt einen baritonschönen, expansionsfähigen Donner – er ist ab Herbst der Wotan im neuen Münchner „Ring“. Tobias Kehrer ist ein edel tönender, spielerisch aufgekratzter Fafner, Christa Mayer eine nie überspitzte Fricka. Und wenn Okka von der Damerau als Erda den Mund aufmacht, weiß man ohnehin: Jetzt wird alles gut.

Olafur Sigurdarson, fast an jedem Bayreuther Abend aktiv, lässt sich zu einem so menschlichen wie heftig bewegten Alberich-Porträt animieren. John Daszak findet zu Recht, dass man den Loge vielschichtig singen kann, ohne zu deklamieren. Tomasz Konieczny ist als Wotan wie immer eine sichere Stimmbank, wenn man seine Vokalverfärbungen überhört. Anders als in den vergangenen Durchgängen bleibt er mehr in der Spur, ausgerechnet die finalen, berühmten Solo-Stellen gestaltet er arg frei und eitel, fast trägt es ihn aus der Kurve.

Im „Rheingold“ legt Regisseur Valentin Schwarz schon Fährten für die kommenden „Ring“-Teile. Ein Bub, den Alberich den Rheintöchtern und ihrem Kindergarten raubt, wird zum bösen Früchtchen verzogen, es ist der spätere Siegfried-Mörder Hagen. Die acht Walküren gibt es schon als spielende Mädchen. Überraschend wirken solche Extras, doch bringen sie – ein Grundfehler der Inszenierung – kaum zusätzliche Ebenen. Sie sind interessant, mehr nicht. Man sieht diesem „Rheingold“ schon auch gern zu, nimmt aber kaum tiefere Bedeutungen mit.

Zumal sich auf der anderen Seite szenische Hilflosigkeiten häufen. Dauernd fuchtelt Alberich mit dem Colt herum, was auf Dauer nur bedingt gefährlich wirkt. Das so wichtige Aufwiegen von Göttin Freia mit dem Rheingold fällt aus, Alberichs Liebesfluch fehlt wie vielem an diesem Abend das Existenzielle, Übermenschliche. Wenigstens freut man sich auf Simone Youngs Rest-„Ring“.

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