Kreativ werden die Kinder beim Ausstellungsbesuch. Solche pädagogischen Programme bieten auch viele Museen an.
Tanzen ließ die niederländische Künstlerin Rineke Dijkstra junge Nachtclubbesucher für ihr Videoarbeiten-Projekt „The Krazy House“. Zu sehen im Espace Louis Vuitton in München. © Rineke Dijkstra
Das Mädchen mit den hellbraunen Haaren kann es sich nicht erklären. „Warum schauen alle Menschen auf Porträts so traurig aus?“ Sie war schon einmal im Museum und hat sie gesehen, die Gemälde aus vergangenen Jahrhunderten, mit lauter staatsmännisch dreinblickenden Gestalten darauf. So richtig fröhlich wirkt das wirklich nicht. Wie gut, dass sie und ihre Klassenkameraden aus der Ferienbetreuung der Grundschule Gustl-Bayrhammer-Straße Freiham an diesem sonnigen Montagmorgen einmal im Espace Louis Vuitton vorbeischauen. Denn hier sind noch bis 14. September die Foto- und Videoarbeiten der niederländischen Künstlerin Rineke Dijkstra zu sehen.
Unter dem Titel „The Krazy House” verwandelt die 65-Jährige die Galerie tatsächlich in ein verrücktes Haus. Hier gibt’s Porträtkunst auf die Augen, wie sie die meisten der Drittklässler noch nie gesehen haben. Und durch die sie lernen: Kunst, die erzählt ganz viel aus der eigenen Lebenswelt. Da erkennt man sich im besten Falle selbst, mit all den windschiefen Gedanken und Gefühlen, die man ja nicht erst hat, wenn man groß ist.
Genau um diese Erkenntnis geht’s der Leiterin des Ausstellungsraums, Sarah Haugeneder, und ihrem Team. Deshalb schreiben sie unermüdlich Schulen und Horts an. Und laden sie ein, zur Kunstvermittlung ins Haus zu kommen. Rund fünf Gruppen pro Woche folgen dem Angebot – im Schnitt 400 Kinder, die monatlich den zweigeschossigen Espace besuchen. Das ist eine Menge. Nicht alle werden gleich am nächsten Tag in die Alte Pinakothek marschieren, um zu schauen, ob sich Rineke Dijkstra bei ihren Porträtfotografien Liverpooler Nachtclubbesucherinnen wirklich von den Alten Meistern hat inspirieren lassen. Aber wer die 17 Buben und Mädels aus Freiham bei ihrem Ausflug beobachtet, der sieht, dass sich was tut im Oberstübchen. Mit Kindern Kunst gucken – immer ein Gewinn. Wenn der Espace-Mitarbeiter, der die Schüler an diesem Tag durch die Räume führt, fragt, wie man das denn nennt, wenn einzelne Menschen fotografiert werden. Und der Junge mit der coolen Cap: „Selfie!“ Nee, nicht ganz. Zweiter Versuch, ein Tipp: „Es fängt mit P an.“ Sofort schnellen die Finger in die Höhe. „Ah, ich weiß! Personenfotografie!“
Das Wort Porträt ist dann fix verstanden. Gemeinsam schauen sie sich ausgedruckte Arbeiten von Dürer, Picasso, van Gogh an. Und betrachten dann die Liverpooler Frauen von heute. Dijkstra hat sie im Nachtclub angesprochen und wenig später in einem Museum fotografiert. Wie wirkt die blonde Frau in der Mitte auf die Kinder? Die Antworten reichen von „edel“, „ein bisschen sauer“ über „enttäuscht“ bis „Sie schaut aus, als ob sie jemanden ermahnen muss“. Da nicken die begleitenden Pädagogen nur schmunzelnd. Letzteren Blick scheinen die Kids zu kennen.
Auf Ebene zwei wird’s wild. Drei Videoarbeiten laufen hier nacheinander im abgedunkelten Raum in Dauerschleife. Darauf zu sehen je eine junge Frau oder ein junger Mann beim Tanzen. Sie hat Dijkstra im Nachtclub gefilmt, vor weißer Leinwand. Erwachsene Betrachter wippen bei diesen Werken meist schüchtern mit den Füßen. Die Neun- bis Zehnjährigen? Legen jetzt richtig los. Die Mädchen zurückhaltender, die Jungs aber mit voller Power. „Ei, guck mal, das kannst du nicht!“, ruft der Bursche mit dem lässigen Trilby-Hut auf dem Kopf dem tanzenden Mann auf der Leinwand zu – und legt selbst ziemlich beeindruckende Moves hin. Interessant, wie sich das Verhalten ändert, als auf der Leinwand eine Frau erscheint. Wie die Schülerinnen ist auch sie erst schüchtern, benötigt Zeit, in ihren Rhythmus zu finden. Und auf einmal sind es die Mädchen, die, ermuntert durch die Frau, beginnen, im Sitzen mitschwingend aufzutauen.
Später im Bastelraum dürfen sie sich Steckbriefe zu den Tanzenden überlegen. Was könnten sie gern essen? („Döner zu drei Euro“), wie könnten sie leben, welche Musik am liebsten mögen? Was könnten ihre Hobbys sein? „Lesen“, glaubt ein Mädchen in Bezug auf die Tänzerin. Warum? „Weil sie sich so ruhig bewegt hat. Ich glaube, sie ist eher stiller und liest gern.“ Beobachten, sich einfühlen in andere – von Kunst kannste was lernen.
KATJA KRAFT