Neues Bayreuther Traumpaar: Michael Spyres als Siegmund und Vida Mikneviciute als Sieglinde. © Enrico Nawrath
Verfolgt von bewaffneten Männern, gejagt von geifernden Hunden, ausgepowert, todesängstlich, das nimmt man ihm nicht ganz ab. Dieser Siegmund stolpert zwar ins Haus seines Feindes, aber irgendwie cool, Grundstimmung: sonnig. Typ junger Falstaff, gesegnet mit einer herrlichen Stimme. Und wegen Letzterem stellt die Opernwelt bei diesem Bayreuth-Debüt auch die Lauscher auf. Michael Spyres, Wundermann aus dem US-Bundesstaat Missouri, schickt sich an, den Festspielhügel zu erobern.
Es war ein singulärer Weg. Spyres, 45 Jahre alt, begann in Barock und Belcanto mit einem Instrument, das sich dort warmlief, wo die Kollegen kapitulierten. Ein hohes Es? Kein Problem. Auch die französische Oper liegt diesem Baritenor, Vertreter einer seltenen Gattung, über mindestens drei Oktaven verfügt er. Dann winkte das deutsche Fach, flankiert von einer entsprechenden CD („In the Shadows“) mit dem angepeilten Gipfel Bayreuth. Es gibt derzeit keinen polyglotteren, stilistisch reflektierteren Tenor als Spyres.
Das hört man auch jetzt, bei der Wiederaufnahme der Bayreuther „Walküre“. Die Stimme strömt (meist) biegsam und frei. Spyres kann die Phrasen modellieren, Farben und Ausdruck auf engstem Raum wechseln. Die Atemkontrolle ist musterhaft. Der Gesang ist so gestisch, dass Spyres ihn darstellerisch gar nicht beglaubigen muss. Tut er auch nur bedingt.
Über Heldenmetall verfügt er weniger, dafür über eine Beimischung von Obertönen, die ihn übers Orchester segeln lässt. Umso mehr irritieren ein paar Dinge. Manchmal deckt Spyres seine Stimme, die dann nach hinten rutscht, eigentlich ein Defekt à la Jonas Kaufmann. Um ein paar Momente später denselben Ton plötzlich strahlen zu lassen: Nervosität? Ein Suchen nach dem rechten Resonanzraum? Dazu gibt es ein paar Textprobleme. Man spürt: Selbst ein Star wie er muss Respekt haben vor einem solchen Debüt.
Bayreuth gönnt sich und dem Publikum dazu eine herausragende Sieglinde. Auch Vida Mikneviciute, längst etabliert im Fach des jugendlich-dramatischen Soprans, debütiert. Kein liebreizender Klang, eher ein herber mit Säureanteilen. Doch die Energie ihres Tons, die Präsenz und Resonanz der Stimme im Raum, ihr dramatischer Instinkt, der gern bis zur Schonungslosigkeit geht, all das sorgt ebenfalls für große Momente.
Die „alte“ Bayreuther Crew hat’s dagegen nicht einfach. Catherine Foster (Brünnhilde) behauptet sich mit noch immer jungmädchenhafter Dramatik, Christa Mayer gestaltet eine schnippisch-spröde Fricka, Georg Zeppenfeld einen Hunding zwischen Irritation und Wut. Und das WotanGesamtpaket von Tomasz Konieczny birgt Probleme. Seine Kraftreserven, seine offensive Gestaltung beeindrucken. Doch was es noch gibt: Vokalverzerrungen, eine mulmige Tongebung, auch das eitle Ausstellen von Kondition und Spiel.
Simone Young im Graben hat oft Mühe, den Kontakt zu ihrem Wotan zu halten. Die „Walküre“ glückt ihr noch besser als das „Rheingold“ tags zuvor. Ein Stück stärker ist hier der Sinn für Tempo-Architektur, für instrumentale Abmischungen, für das Woher und Wohin Wagner’scher Dramatik. Lyrismen sind kein Selbstzweck, auch Eruptives oder die Rasanz etwa des „Walkürenritts“. Eine vollkommen schlüssige Deutung, vor allem in der Balance von Detailbewusstsein und Draufsicht. Die Farben des Festspielorchesters leuchten, wirken aber nicht künstlich verstärkt. Imponiergehabe hat diese Dirigentin nicht nötig.
Sogar mit der Regie von Valentin Schwarz macht man (zumindest hier) seinen Frieden. Man kann sich der Inszenierung einfach überlassen, den Abend sogar kurzweilig finden. Vorausgesetzt, man fragt nicht nach dem Warum. Dass Wotan seine Tochter Sieglinde schwängerte, dass Siegmund mit Pistole statt Schwert fuchtelt (Wird er sie im nächsten „Ring“-Teil Wagner-gemäß dann neu gießen?) und ähnliche Extras gaukeln Zusatzbedeutung nur vor. Dafür werden die drei wichtigsten Zweierszenen fast ignoriert: das Erkennen der Zwillingsgeschwister Sieglinde und Siegmund, die Todverkündigung mit Brünnhilde und Siegmund sowie Wotans Abschied von Tochter Brünnhilde.
Spyres zeigte sich nur nach dem zweiten Aufzug zum Solo-Vorhang und enteilte, wie zu hören war, Richtung Chicago. 2025 ist der Wundermann wieder da – als Siegmund und bei den neuen „Meistersingern“ als Stolzing.