Schaut nicht nur aus wie ein Star: 16 Grammys hat Adele bisher gewonnen. © Jae C. Hong
Gut am Glas: Fürs Feiern war Adele stets bekannt. © Backgrid
Der Beginn: Adele signiert 2008 ihre erste Single „Hometown Glory“. © imago classic
Blickt zurück auf eine Ausnahme-Karriere: Adele, eine der erfolgreichsten Sängerinnen des 21. Jahrhunderts. © Simon Emmett Columbia Records
Manche sehen in ihr den neuen Elvis. Einen traurigen Clown im goldenen Glitzerkäfig Las Vegas. Bling-Bling, aufgesetztes Lächeln, dahinter: Leere. Doch man kann den Weg von der frechen, trinkenden, fluchenden, rauchenden Londoner Sängerin Adele Laurie Blue Adkins zum perfekt gestylten, schlanken, very healthy (und wealthy) in den USA lebenden Megastar Adele, die statt in verklebten Pubs nur noch in eigens für sie gebauten Konzertarenen oder eben Wochenende für Wochenende in Las Vegas auftritt, auch anders lesen. Als Geschichte einer Frau, die das Business in der Hand hat. Die nicht deshalb nicht mehr überall auf der Welt auftritt, weil sie arrogant und abgehoben ist – sondern: weil sie’s kann.
Nun also: zehn Shows in München, vor je 75 000 Zuschauern, eine gigantische Leinwand, die tatsächliche Adele von den meisten Plätzen aus so klein wie eine Handpuppe, die Show deshalb vermutlich eher wie ein immersives Konzertvideo. Da sträuben sich selbst diejenigen, die ihre Musik wirklich, wirklich gern mögen. Der gestylte Star? Nicht mehr unsere Adele.
Doch dann klickt man sich als eben jene, die die Musik wirklich, wirklich gern mag, noch mal durch die alten Fotos. Schaut sich Konzerte von 2007, 2008, 2011 an. Adele damals 19, 20, 23 Jahre alt. Nach ihrem Abschluss 2006 an der BRIT School for Performing Arts gelingt ihr der Durchbruch mit ihrem Debütalbum „19“. Sie eine total normale Londonerin, wie total normale Londonerinnen eben aussehen. Gut genährt, enges Kleid, dick Mascara. Fluppe in der einen, Plastikbecher mit schalem Bier in der anderen Hand. Dann öffnet sie ihren Mund – und nichts scheint mehr normal. Diese Frau kann singen. Und diese Frau kann texten. Diese Frau ist eine sehr, sehr lustige Entertainerin mit sympathischem Cockney Humor. Doch diese Frau geriet eben weil sie all das ist und kann in die Höllenmaschine öffentliche Aufmerksamkeit.
Jetzt kannst du auf verschiedene Weisen damit umgehen. Kannst wie Amy Winehouse oder Elvis noch mehr trinken und noch mehr schmeißen und dich so richtig von innen zerstören, obwohl von außen doch alles nach Lebenstraum erreicht ausschaut. Oder du ziehst dich nach jedem Erfolg eine Weile zurück, machst was aus den hübschen Nebeneffekten von Ruhm und Erfolg: Kaufst dir ein schönes großes Haus für das, was wir doch alle wollen – ein glückliches Leben leben. Adele tat’s. Die prächtige Hütte teilte sie mit Simon Konecki. Mit dem Unternehmer kam sie 2011 zusammen, ein Jahr später wurde ihr gemeinsamer Sohn geboren. Er trägt den Namen Angelo. Denn: „Ohne Simon und Angelo wäre ich verloren gewesen. Sie sind Engel, die mir geschickt wurden“, erzählte Adele Ende 2021 bei US-Talkmasterin und Hobby-Psychologin Oprah Winfrey. Zu dem Zeitpunkt hatten Simon und sie sich bereits getrennt, ihr jüngstes Album „30“ erzählt davon.
In diesem Gespräch geht’s auch um den massiven Gewichtsverlust der Sängerin. Rund 45 Kilo innerhalb von zwei Jahren. Und wie sich die vielen Kommentare dazu anfühlen. Antwort: ziemlich normal. „Ich wurde von Beginn an objektiviert. Mein Körper war immer ein Thema.“ Gehässige Sprüche über ihre Rundungen war sie gewohnt, jetzt lästern sie eben über ihre schmaler gewordenen Hüften. Zur äußerlichen Veränderung kam es in der aufwühlenden Zeit der Trennung von Simon, in der sie merkte: Wenn gerade sonst jede Struktur fehlt, dann hilft es mir zu wissen, dass morgens der Personal Trainer kommt, ab auf die Hantelbank; mittags in die Berge; abends eine Runde Yoga. Das Leben ist ein Kampf. Siege.
Dass ihr manche Fans, die in ihr auch immer ein Vorbild für „Body Positivity“ sahen, jetzt vorwerfen, sich von ihnen entfernt zu haben? Come on. „Ich muss mein eigenes Leben hinkriegen, ich kann nicht auch noch darauf schauen, wie sich die Fans durch meine Entscheidungen fühlen.“
Im Grunde ist es also die Geschichte einer Frau wie jeder anderen auch. Man muss ja nur in seinen eigenen Fotoalben blättern. Leben ist Veränderung. Adele musste sie vor aller Augen vollziehen. Und nimmt sich heute, nach einem Oscar, einem Golden Globe, 16 Grammys und 100 Millionen verkauften Tonträgern, heraus, selbst die Regeln zu machen.
Zum Beispiel: nicht mehr um die Welt reisen zu müssen, wenn die Fans auch zu ihr kommen können (und es tun). Gesünder zu leben, auch wenn das doch so witzig war mit dem Trinken und Rauchen auf der Bühne. Wären uns die selbstzerstörerischen Jimi, Janis und Jim lieber? Weniger glatt und perfekt? Mag sein. Doch womöglich hätten wir dann auch Adele an den Klub 27 verloren. Es wäre schade um die intensiven Songs; um die sensationelle Stimme; und um eine Frau, die ausschaut, als habe sie sich verloren hinter einer oberflächlichen Maskerade. Vielleicht aber ist’s in Wahrheit eine Rüstung, durch die der Star: Mensch bleiben kann.
KATJA KRAFT