INTERVIEW

„Die Frauenseite hat mich interessiert“

von Redaktion

Viggo Mortensen über seinen neuen Western, den er seiner Mutter gewidmet hat

Der Hollywoodstar in München: Viggo Mortensen hat seinen Western im Rahmen des Filmfests vorgestellt. © FALKE / T&T

Gefahren ausgesetzt: Viggo Mortensen und Vicky Krieps (Mitte) in einer Szene des Films „The Dead don‘t hurt“.

Schauspieler, Drehbuchautor, Regisseur, Musiker, Komponist, Maler, Lyriker, Fotograf: Viggo Mortensen (65) ist ein Multitalent. Der in New York geborene Sohn eines Dänen und einer US-Amerikanerin, der ein halbes Dutzend Sprachen fließend spricht, wurde als Aragorn in der „Herr der Ringe“-Trilogie zum Weltstar. Seitdem bekam er unter anderem drei Oscar-Nominierungen – für seine Hauptrollen in „Eastern Promises“, „Captain Fantastic“ und „Green Book“. Vier Jahre nach seinem Regiedebüt, dem berührenden Demenz-Drama „Falling“, überrascht er nun mit dem Western „The Dead don’t hurt“, der am Donnerstag anläuft. Mortensen hat ihn inszeniert und mit produziert, das Drehbuch sowie die Musik geschrieben und eine Hauptrolle übernommen. Kurz vor der Deutschlandpremiere beim Filmfest München trafen wir den leisen, unprätentiösen Feingeist zu einem Gespräch unter vier Augen.

„The Dead don’t hurt“ ist Ihrer Mutter gewidmet. Inwiefern hat sie Sie zu Ihrem Western inspiriert?

Sie war auf den ersten Blick eine ganz normale Hausfrau und Mutter dreier Buben. Aber auf ihre stille Art war sie auch eine starke, sture, unabhängige Frau, die sich für fremde Kulturen interessierte, sich stets ihre eigene Meinung bildete und sich von niemandem vorschreiben ließ, wie sie denken oder handeln sollte – so wie Vivienne, die Hauptfigur von „The Dead don’t hurt“. In diesem Film untersuche ich, wie es einer Persönlichkeit wie meiner Mutter wohl ergangen wäre, wenn sie Mitte des 19. Jahrhunderts im Wilden Westen gelebt hätte, also in einem völlig gesetzlosen Umfeld, dominiert von brutalen, korrupten, machtbesessenen Männern.

Muss ein Western nach wie vor bestimmte Traditionen und Erwartungen bedienen? Oder ist in diesem Genre inzwischen alles erlaubt?

Ach, ich denke, wenn Sie eine überzeugende Idee haben, dürfen Sie durchaus auch einen Western drehen, in dem die Protagonisten zu Hip-Hop-Musik tanzen oder rosa Klamotten tragen. Doch ich wollte überhaupt keinen Anti-Western abliefern – ich liebe dieses Genre, reite seit meinem dritten Lebensjahr leidenschaftlich gern und bin mit Western-Serien im Fernsehen aufgewachsen. „The Dead don’t hurt“ ist meine Verbeugung vor den klassischen Western: mit eleganten Landschaftsaufnahmen, authentischen Dialogen und historisch korrekten Kostümen.

Aber mit einer Frau im Zentrum des Geschehens.

Genau – noch dazu mit einer Frau, deren Muttersprache nicht Englisch ist. Viele traditionelle Western handeln von Männern, die in den Bürgerkrieg ziehen. Aber kein einziger geht der Frage nach, die mich hierbei interessiert hat: Was bedeutet das Fortgehen des Mannes für die zurückgelassene Frau, die sich plötzlich allein in einer extrem misogynen Umgebung behaupten muss?

Diese Frau wird gespielt von Vicky Krieps, die vor zehn Jahren beim Münchner Filmfest für die Titelrolle in „Das Zimmermädchen Lynn“ den Förderpreis Neues Deutsches Kino gewann. Wie kamen Sie auf sie?

Ich hatte sie in Filmen wie „Der seidene Faden“ an der Seite von Daniel Day-Lewis oder „Corsage“ als Kaiserin Sisi gesehen. Ihre umwerfende Leinwandpräsenz erinnerte mich an die junge Meryl Streep. Mit ihrem Gesicht kann sie überzeugend Figuren aus vergangenen Epochen verkörpern. Vor allem aber hat sie die Fähigkeit, ganz ohne Worte eine enorme Bandbreite an Emotionen und Stimmungen zu vermitteln. Das war eine der größten Herausforderungen bei der Rolle der Vivienne. Zum Glück hat Vicky am Set meine hohen Erwartungen sogar noch übertroffen.

Wie arbeiten Sie als Regisseur mit Ihren Darstellerkollegen? Lassen Sie ihnen viele Freiheiten?

Absolut. Ich finde, die richtige Besetzung ist schon mehr als die halbe Miete für einen guten Film. Ein Regisseur sollte sich nicht wie der große Zampano aufführen oder nur auf der Durchsetzung seiner eigenen Ideen beharren. Stattdessen tut man gut daran, offen zu sein für die Vorschläge seiner Akteure. Dann passieren aufregende Dinge – und man wird immer wieder positiv überrascht.

Offenbar saßen Sie fest im Sattel: Wie man hört, haben Sie manche Szenen hoch zu Ross inszeniert…

Stimmt. Kaum irgendwo fühle ich mich wohler als auf dem Rücken eines Pferdes. Am Ende unserer anstrengenden Drehtage in der mexikanischen Wildnis bin ich meistens, anstatt mich kutschieren zu lassen, langsam zurück in unser Basislager geritten – und in kürzester Zeit fiel der ganze Stress von mir ab. Wenn ich Zeit mit Pferden verbringen kann, werde ich vollkommen ruhig und entspannt. Von diesen wundervollen Geschöpfen habe ich Gelassenheit gelernt!

Artikel 5 von 11