Fast zu perfekt

von Redaktion

Die ersten von zehn Konzerten des Megastars Adele in München

An Spezialeffekten wird bei Adeles Bühnenshow nicht gespart.

Gab alles: eine sichtlich nervöse Adele, einmal analog und dahinter digital auf der gigantischen Leinwand. © Kevin Mazur

Es gibt diese Konzerte, da sortierst du noch auf dem Heimweg in der U-Bahn deine Playlist neu. Alles eben Gehörte bitte weiter auf die Ohren, damit das Gefühl, die Überwältigung, dieser Rückenwind weiter schiebt. Wie bei manchen Filmen, bei denen du aus dem Saal taumelst und merkst: Hier hat sich was verschoben. Bewegt im besten Sinne. Man würde jetzt so gern schreiben, dass das ist, was bei den Giga-Shows von Adele passiert. Doch: Das ist es nicht.

Freitagabend in München, Messegelände Riem. Schönste Volksfeststimmung. Aus der ganzen Welt sind sie gekommen und warten geduldig auf Einlass, bringen sich in der Adele World mit der Spice-Girls-Coverband, beim Kettenkarussell- und Riesenrad-Fahren, mit Vino und bayerischem Bier in Stimmung. Wer Chaos befürchtet hatte, erlebt entspannte Stunden. Und sogar das dräuende Gewitter bleibt aus. Kurz vor 20 Uhr geht ein kurzer wie kräftiger Regenguss runter – die Fans, die auf ihren Arenaplätzen auf den Beginn der Show warten, tanzen einfach freudig zu Nenas „99 Luftballons“, das aus den Boxen dröhnt. Da ist er, einer dieser magischen Momente, in denen man spürt, dass der Ausspruch „Musik verbindet“ keine bloße Plattitüde ist. Nenas Song kennt John aus Manchester genauso wie Maike aus Bergisch Gladbach. Und wie sie dazu strahlen. Und wie man sich durch diesen blöden Sommerregen auf einmal so verbunden fühlt. „Das ist genial!“, ruft eine Besucherin im klatschnassen Kleid. Und meint das völlig ernst.

Die Herzen der 75 000, die in der gigantischen Arena der Ankunft ihres Stars harren, sind also himmelweit geöffnet. Als die britische Sängerin, das Ausnahmetalent, eine der erfolgreichsten Künstlerinnen des 21. Jahrhunderts, als also Adele erscheint, will sie genauso viel Liebe zurückgeben. Ihre eigene Überwältigung wirkt nicht gespielt. Doch: Vielleicht ist das gar nicht möglich – 75 000 Menschen gleichzeitig sein Herz schenken? Da bleibt für jeden nur ein Schnipsel.

Der Abend ist makellos. Als die 36-Jährige selbst die Pläne mit ihrem Team durchgegangen ist, hatte sie ein bisschen Bammel, ob das alles pünktlich fertig und überhaupt so realisiert werden könnte. „Aber ich wusste, dass das Deutsche verantworten, also war ich beruhigt.“ Ja, die eloquente Britin weiß schon, welche Knöpfe sie drücken muss, um die Gastgeber zu umgarnen. Wobei aus München, Bayern, Deutschland gar nicht die Mehrheit zu kommen scheint. Mexikaner, Afrikaner, ja selbst Australier sind angereist. „Ich kann euch nicht genug danken, dass ihr solch einen Aufwand betrieben habt, um hier zu sein“, ruft Adele ihnen zu. Sie dankt es mit dem Versuch, möglichst viel Persönliches in die Show einzubauen.

Mit ihrer „Shirt-Gun“ schießt sie signierte T-Shirts in die Menge; bittet die Besucherin in Block D27, Reihe 21, Platz 25, mal unter ihren Sitz zu schauen – dort liegen 50 Euro bereit. „Kauf dir einen Drink, und mach dir einen schönen Abend!“ Gleich zu Beginn lädt sie einen kleinen Jungen und dessen große Schwester auf die Bühne. Sie sind aus Stuttgart angereist, er des Englischen noch nicht mächtig („How old are you?“ – „Good!“), seine Schwester bester Laune. „Ich habe in der Adele World schon Aperol getrunken“, erzählt sie – vielleicht genau deshalb erstaunlich selbstbewusst auf der riesengroßen Bühne – und grüßt die zwei Fans aus Liverpool, die sie beim Aperol kennengelernt hat. Adele schlagfertig: „Aus Liverpool? Wie zur Hölle konntet ihr die verstehen?“

Es sind diese Interaktionen mit dem Publikum, bei denen der schöne Star, der auf der Leinwand wirkt wie eine Disney-Prinzessin mit von der Windmaschine verwehtem blonden Haar, nahbar wird. Und die den Abend zu einem besonderen machen. Es überwiegt das Gefühl: Die Lady mal live erleben, doll. Ihre Songs von „Hello“ über „Set Fire to the Rain“ bis zum atemberaubenden „Someone like you“ klingen derweil fast zu perfekt, um wahr zu sein. Vielleicht liegt deshalb auf der allgemeinen Stimmung ein bisschen die Handbremse. Es ist eher ein Mithörkonzert voller Staunen, kein wirbelndes, grölendes, tanzendes Gefühlsrambazamba.

Das ist natürlich Klagen auf hohem Niveau, vielleicht wären wir in Woodstock-Zeiten völlig überwältigt gewesen von der irren Technik, die uns hier serviert wird. Gestochen scharf leuchtet die stilvoll gestaltete Leinwandshow in der Münchner Sommernacht, die Livebilder der analogen Adele werden ebenso perfekt aufgelöst eingefügt. Videozauber der Extraklasse. Dazu Feuerfontänen, Nebelschwaden und Konfettiregen – wobei die Blättchen, die ins Publikum fliegen, Polaroidfotos aus verschiedenen Lebensphasen der Künstlerin schmücken, darunter Zeilen aus ihrer fabelhaften Ballade „When we were young“. Das ist alles mit sehr viel Liebe fürs Detail gemacht. Doch funktioniert der Woodstock-Vergleich vermutlich genau umgekehrt: Würde uns ein bisschen mehr Matsch, ein bisschen mehr Kratzen auf der Tonspur, ein bisschen mehr Imperfektion stärker gefangen nehmen?

Die Leinwand erinnert in ihrer Form an ein gewelltes Stück Papier, das man aufrollen und mit nach Hause tragen kann. So hat es sich Adele vorgestellt. Es ist einer von etlichen liebevollen Gedanken, die sie sich um ihre „Residenz in München“ gemacht hat. Sie hat ihr Herz gegeben, jedem flog ein bisschen davon zu. Und so spazieren alle beschwingt nach Haus. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.
KATJA KRAFT

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