Gelangweilt von der Welt und von den Menschen ist dieser Apoll, der im Stück nur widerwillig fürs versprochene Happy End sorgt. Sebastian Rudolph brilliert in der Rolle. © Armin Smailovic
Irgendwann landen wir doch immer wieder bei den alten Griechen. Im Mutterland des Theaters und der Demokratie, in dem Dichter wie Aischylos, Sophokles oder Euripides im Gewand des Mythos die politischen Themen ihrer Zeit verhandelten. Geschichten, die bis heute auf der Bühne immer wieder variiert werden. Bei den Salzburger Festspielen ist es aktuell Nicolas Stemann, der auf der Perner-Insel mit „Orestie I-IV“ eine Brücke von der Antike ins Jetzt schlägt. Und für alle Altphilologen, die hier bereits ihr Veto einlegen: Von Aischylos sind natürlich nur die tragischen ersten drei Teile überliefert, während das heitere Satyrspiel verschollen bleibt. Stemann stört das allerdings wenig. Er startet zwar mit dem „Agamemnon“, doch bevor es mit den „Eumeniden“ weitergeht, wird erst einmal Sophokles’ „Elektra“ dazwischengeschaltet. Und das satirisch überzeichnete Finale gehört danach ausgerechnet dem pessimistischen „Orestes“ des Euripides.
Vier höchst unterschiedliche Dramen von drei Autoren, die Stemann natürlich nicht im schwülstig übersetzten Versmaß, sondern in eigener Fassung vorstellt. Der nie enden wollende Kreislauf, in dem Mord auf Mord und Rache auf Rache folgt, präsentiert sich mal brutal ehrlich, mal mit einer ganz eigenen nüchternen Poesie. Meist aber doch eher ironisch flapsig.
Die Charaktere wandern immer mal wieder zwischen dem fünfköpfigen Ensemble. Ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht. In der Hinsicht ist die Inszenierung tatsächlich so „werktreu“, wie es der Regisseur in einer seiner Ansprachen ans Publikum behauptet. Selbst wenn diese Aussage für leichtes Schmunzeln sorgt. Auf der spartanischen Bühne von Katrin Nottrodt ist nämlich alles auf postdramatische Dekonstruktion ausgerichtet. Wobei Stemann für jeden Teil eine eigene Sprache findet. So wird etwa die „Elektra“ von großen Monologen getragen. Inklusive Zweiteilung der Titelheldin auf zwei Schauspielerinnen. Julia Riedler darf hier – so wie zuvor als Kassandra – die zornige junge Frau geben, die sich ihren Frust von der Seele schreit, während Barbara Nüsse mit sensibler Rhetorik die weicheren Seiten zeigt und später ebenso überzeugend in die Rollen der nach Blut dürstenden Erinnyen oder in den Anzug des Pylades schlüpft.
Ähnliche Vielseitigkeit wird auch von Patrycia Ziółkowska, Sebastian Zimmler und Sebastian Rudolph verlangt. Wobei vor allem Letzterer als von der Welt und den Menschen gelangweilter Apoll brilliert und nur widerwillig fürs versprochene Happy End sorgt.
Ein virtuos agierendes Ensemble, bei dem es nur mit dem chorischen Sprechen nicht immer ganz hinhauen will. Denn wenn sich die fünf Stimmen vereinen, wird daraus trotz Mikro-Verstärkung meist schnell ein schlampiges Nuscheln, bei dem der Text leider allzu oft auf der Strecke bleibt. Und auch mit dem Exkurs zu „Menschen bei Aisch(ylos)berger“ verzettelt sich die Regie. Die witzig gemeinte Talkshow-Parodie zieht sich ebenso langatmig wie die im zweiten Teil über Videobotschaften geführten Dialoge. Völlig daneben geht schließlich der Moment, wenn Stemann in die Fußstapfen Ferdinand von Schirachs tritt und das Publikum über die Begnadigung Orests abstimmen lässt. Ein Kniff, der sich als Pausen-Cliffhanger angeboten hätte, mitten im Stück aber einfach nur bremst. Was auch dadurch nicht runder wird, dass der Regisseur ein weiteres Mal selbst mit über die Bühne wuselt und die Stimmenverteilung so lange per Augenmaß schätzt, bis sich das im Konzept erwünschte Ergebnis einstellt.
Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn Menelaos im Satyrspiel mit roter Baseball-Mütze an den Großmeister der alternativen Fakten erinnert und Bilder des Sturms auf das amerikanische Kapitol heraufbeschworen werden. Ein Lob geht dafür vor allem an Claudia Lehmann und Konrad Hempel, die am Bühnenrand in Echtzeit ihre multimedialen Spielereien beisteuern.
Handwerklich ist das alles zweifellos gut gemacht. Mit Selbstbeichten im Vlog-Format, Video-Chats mit Animé-Filtern und atmosphärischen Live-Bildern. Gleichzeitig wird man aber das Gefühl nicht los, dass Stemann und Co. von allem etwas haben wollten: Politik, Klima, Krieg, Familiendrama, KI, Medienkritik und so weiter. Worüber sich der Fokus im Laufe der vierstündigen Aufführung zunehmend verliert und das bewusst antiklimaktische Ende etwas zu sehr verpufft.
TOBIAS HELL
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