Mozart in St. Peter mit Václav Luks (Mi.), Solistinnen und Solisten sowie dem Collegium 1704. © Marco Borrelli
Intimes in der Edmundsburg mit Georg Nigl, Alexander Gergelyfi und August Diehl (v. re.). © Marco Borrelli
Der Tod kommt spät an diesem Salzburger Tag, eine Stunde vor Mitternacht und hoch über der Stadt. Und meist ist es ein leiser Tod wie bei Heinrich Schütz („Ich liege und schlafe“) oder ein süßer wie bei Bach. Oder er wird vom selben Komponisten freudig begrüßt, als sachtes, erleichtertes, kaum mehr hörbares Ausatmen wie in „Bist du bei mir“. Georg Nigl singt das eigentlich nicht mehr, es ist ein fast stimmloses Raunen am Rande des Nichts. Ungeheuer riskant – und folgenlos: Zugaben verbieten sich am Ende dieser „Kleinen Nachtmusik“.
Nigls Reihe gibt es schon im zweiten Festspielsommer. Im Saal der Edmundsburg am Mönchsberg ist es der größtmögliche Kontrapunkt zum Touristen- und Klunker-Trubel 30 Meter tiefer. Rund 80 Gäste, mehr verträgt dieses Format nicht. Sechs (längst ausverkaufte) Konzerte sind heuer angesetzt, Musik und Rezitation im Wechsel, nicht länger als 75 pausenlose Minuten. Das erste, „Komm, süßer Tod“, ist eine abgründige, bestürzende, schwarzhumorige Meditation übers – so war das damals im Barock – auch erwünschte Lebensfinale.
Im vergangenen Jahr saß auf dem kleinen Podium der hintergründige Ulrich Noethen, heuer ist August Diehl als Sprecher dabei. Lakonisch, mit verhaltenem, auch bissigem Ernst, umso plastischer treten einem die Texte entgegen. Der Tod durch Waffen, das ist Diehls Part – ob im berühmten Kriegslied von Matthias Claudius oder in einem Schnipsel aus dem Roman „Der perfekte Schuss“ von Mathias Énard: Wie man wohl am effektivsten trifft? Kurz nach dem vereitelten Wiener Attentat aufs Taylor-Swift-Konzert hält man den Atem an.
Eigentlicher Star ist Alexander Gergelyfi am Tafelklavier, der etwa Bachs berühmtes C-Dur-Präludium aus dem „Wohltemperierten Klavier“ wie eine Aneinanderreihung von Fragezeichen spielt, als sei es ihm gerade erst eingefallen. Einmal setzt er sich für ein HändelCapriccio an Mozarts originales Mini-Clavichord. Ein wunderfeines Filigrangespinst hebt an, das Publikum scheint sich unwillkürlich nach vorn zu beugen, es ist überwältigend.
Genauso übrigens wie das, was zwei Stunden zuvor in der Stiftskirche St. Peter geschieht. Auch dieses Konzert bewegt sich abseits des Klischees. Im Altarraum singt und spielt zwar das tschechische Collegium 1704, alles Alte-MusikExperten. „Historisch informiert“, das hört man schon auch durch. Aber dieser Mozart ist vor allem sinnlich, klangsatt, kantabel auch in der komplizierten Kontrapunktik. Die unvollendete c-Moll-Messe als Kirchenoper, es ist die passende Interpretation in einem Gotteshaus, das vor Gold, Putten und Schnörkel schier überquillt. Und Dirigent Václav Luks hat damit den besten Beweis: Barock (inklusive Wiener Klassik) hat nichts zu tun mit der veganen Klangschonkost, die andere servieren.
Mozarts Messe KV 427 wird hier jedes Jahr musiziert, es ist der mutmaßliche Uraufführungsort. In der halligen Akustik wird es bei Suks großem Aufriss auch diffus, entscheidend bleibt aber das Raum-Sound-Erlebnis. Kateryna Kasper ragt aus dem Gesangsensemble heraus, die Sopranpartie singt sie mit viel Farbauftrag und großer Resonanz bis in die gefürchteten Untiefen. Vor Mozart vier Prozessionsmotetten von Jan Zelenka (1679-1745), er ist ein Herzenskomponist von Václav Luks. 20 Minuten wie ein Rausch, lustvoll und geistesklar. Lange, heftige Begeisterung.
MARKUS THIEL