SALZBURGER FESTSPIELE

„Ich bin nicht verliebt in meine Stimme“

von Redaktion

Benjamin Bernheim ist Mittelpunkt von „Hoffmanns Erzählungen“

Benjamin Bernheim, Experte für Französisches. © Edouard Brane

„Es geht um das Drama des Lebens“: Benjamin Bernheim als Hoffmann. Mariame Clément inszeniert Jacques Offenbachs Oper „Les contes d‘Hoffmann“, Premiere ist am 13. August im Großen Festspielhaus. © Monika Rittershaus

Wenn es ums französische Fach geht, ist er einsame Spitze. Ganz folgerichtig also, dass Benjamin Bernheim bei den Salzburger Festspielen die Titelrolle in Offenbachs Oper „Les contes d’Hoffmann“ übernimmt. Premiere ist am 13. August im Großen Festspielhaus. Doch der 39-Jährige hat sich auch die lyrischen Partien bei Verdi, Tschaikowsky oder Puccini erobert. Zwischen Autogrammstunde und Proben nahm sich der gebürtige Pariser in einem Salzburger Café die Zeit für dieses Interview.

Wie ist es, auf dieser Riesenbühne zu singen?

Es ist eine enorme Bühne, vergleichbar nur noch mit der New Yorker Met. Da ich aber schon einige Male hier gesungen habe, anfangs in kleinen Rollen, bin ich sehr vertraut mit der Akustik. Es ist wie ein Heimkommen. Es gibt viel schwierigere Bühnen, ich denke da an die Wiener Staatsoper, wo das Orchester fast auf Parkettebene und dementsprechend dominant spielt. Für meine Stimme ist das nicht unbedingt ideal. Außerdem sind bekanntlich die Orchester im Vergleich zum 19. Jahrhundert aufgrund der modernen Instrumente viel lauter geworden, die Stimmung ist höher – das alles benötigt eine intensivere Diskussion als jetzt, um uns Sänger zu schützen. Es gibt eine Vielzahl von uns, die sich zu einem frühen Zeitpunkt ihrer Karriere übersungen haben. Und das liegt nicht unbedingt an ihnen.

Mit wem sollte denn diskutiert werden?

Mit den Dirigenten und mit den Orchestern. Sie spielen oft zu laut und zu offensiv – abgesehen von denen, die Originalinstrumente benutzen. Es gibt nur wenige Opernhäuser, in denen eine gute Balance zwischen Bühne und Orchestergraben herrscht.

Ist der Hoffmann der Siegfried des französischen Fachs?

Nein. Der Siegfried des französischen Fachs wäre ein Mix aus Hoffmann und dem Samson von Saint-Saëns. Hoffmann ist allerdings die längste Partie im französischen Fach. Man muss einen Weg finden, wann und wie man sich zurückhält. Die vokale Strategie ist entscheidend. Gerade der vierte Akt mit Giulietta erfordert nochmals viel Energie.

Funktioniert eine Strategie überhaupt? Siegfried Jerusalem sagte über Wagners Siegfried, dass Sparen dort nichts helfe. Man müsse in jedem Takt hundertprozentig da sein.

Das ist ein Problem des Siegfried. Und wir wissen, wie viele Tenöre Schwierigkeiten haben. Ganz allgemein: Das Problem besteht nicht darin, sechs Seiten einer Partitur fast allein singen zu müssen. Sondern, wie man sich davon erholt. Es ist wie bei der Formel 1: Wenn man Vollgas gibt, muss der Motor irgendwann zurückgefahren werden. Und es gibt Rollen, in denen man solche Momente nur schwer findet. Der vierte „Hoffmann“-Akt ist fast heldisch. Für mich macht es das gerade interessant, weil die Titelfigur eigentlich drei verschiedene Stimmen braucht und weil ich innerhalb eines Abends viele Farben bringen kann.

Entwickelt sich Hoffmann eigentlich? Oder ist er am Ende derselbe frustrierte Saufkopf wie am Anfang?

Es gibt eine Entwicklung. Was ich in unserer Produktion mag: Keiner stirbt. Es geht um das Drama des Lebens. Wie es sich fortsetzt, welche Abzweigungen es nimmt und wie man vielleicht die ganze Sache steuern könnte. Hoffmann hat den Ehrgeiz, nach den Sternen zu greifen, wird aber vom Leben daran gehindert.

Hat sich der Blick auf Hoffmann, auf diesen Männertyp, der ständig an Frauen scheitert, seit #MeToo verändert?

Mit Sicherheit. Und das betrifft viele Rollen, die ich singe. Immer wieder wird die Frau als Objekt in der Oper dargestellt. Nehmen wir Hoffmann und Antonia: Er verlangt von ihr, dass sie mit dem Singen aufhört, dass sie ihre Karriere beendet, nur damit sie ihm zur Verfügung steht. „Du gehörst mir“, ist die Aussage. Wie eben in vielen Opern.

Eine Art Don Giovanni…

In gewisser Hinsicht. Doch der will mit den Frauen Spaß haben. Er will keine Beziehung eingehen. In „Hoffmanns Erzählungen“ gibt es auch den umgekehrten Fall: Die Kurtisane Giulietta ist hier in der Rolle Don Giovannis, sie möchte Hoffmann benutzen als Spielzeug. Das alles macht Hoffmann ja für mich als Sänger so attraktiv, weil er uns so verschiedenartig gegenübertritt. Als Opfer, als junger unerfahrener Mann und als Arschloch.

Ihr Terminkalender für die nächsten Monate listet Hoffmann, Werther, Des Grieux und so weiter. Fühlen Sie sich im französischen Fach gefangen?

Nein, weil das meine Entscheidung war. Ich liebe dieses Fach. Und es ist meine Position auf dem Spielfeld. Ich glaube eben, dass ich im lyrischen französischen Repertoire am besten aufgehoben bin. Natürlich weil ich Muttersprachler bin. Aber ich habe auch viele Jahre lang hart daran gearbeitet, vokale Klarheit zu entwickeln. Das höchste Lob, das man mir spenden kann: wenn Menschen sagen, dass sie jedes Wort verstanden haben – auch wenn sie die Sprache gar nicht sprechen. Und das versuche ich in jeder Sprache zu erzielen. Ich würde gern auch Deutsches singen, aber es gibt da für mich keine Entsprechungen zu Rollen wie Werther, Rodolfo oder Alfredo.

Aber jeder fragt Sie dauernd nach dem Lohengrin.

Das stimmt. Er wird schon kommen. Ebenso wie Cavaradossi. Aber ich höre und folge da meiner stimmlichen Entwicklung und will nichts pushen. Ich habe den Erik im „Fliegenden Holländer“ schon gesungen. Das war eine wichtige Erfahrung. Auch wenn mir damals vorgeworfen wurde, dass er zu früh kam. Dabei ist er stimmtechnisch ein Schritt zu Werther oder Hoffmann – und hat mit dem späteren Wagner nur wenig zu tun. Was zeigt, dass es Defizite in der Opernszene gibt, was stimmtechnische Einschätzungen betrifft.

Sie sagten einmal, dass Sie lang benötigt haben, um Ihre Stimme zu akzeptieren. Sie seien nicht Ihr bester Freund. Hat sich das Verhältnis gebessert?

Ja und nein. Es ist ein gutes Arbeitsverhältnis. Ich weiß, dass ich wunderbare Dinge mit ihr tun und kreieren kann. Wenn ich nur zwei Töne von Plácido Domingo höre, empfinde ich pure Freude. Ähnliches haben mir andere über meine Stimme gesagt. Ich kenne viele, die in ihre Stimme verliebt sind. Das bin ich nicht. In meiner Zeit am Zürcher Opernstudio hat es einige Zeit gebraucht, bis mir klar wurde: Okay, das ist deine Stimme, die gehört zu dir – und keine andere, der du vielleicht nacheiferst. Natürlich habe ich viel experimentiert, bin von der Kraft her an Grenzen gegangen oder habe manche Töne stark gedeckt. Irgendwann habe ich dann meine Balance gefunden. Mein bester Lehrer war die Bühne, weil ich dort so viel ausprobiert habe.

Sie bringen demnächst eine neue CD heraus: „Douce France“. Wie wichtig sind Alben überhaupt noch für die Karriere?

Das ist tatsächlich die zentrale Frage: Was ist die Zukunft dieser kleinen Scheiben? Ich weiß, dass immer mehr Menschen keinen CD-Spieler mehr besitzen. Aber ich weiß nicht, wohin es geht. Erlaubt uns das Streaming, sogar mehr aufzunehmen? Oder weniger? Ein Album ist weiter eine Visitenkarte für Künstlerinnen und Künstler. Und ein Dokument, an welcher Karrierestation man sich gerade befindet. Ich habe in den vergangenen Jahren viele „Melodies“ studiert, ob französische, spanische oder, als Entsprechung, das deutsche Lied. Und habe festgestellt: Bei „Les nuits d’été“ von Berlioz und „Poème de l’amour et de la mer“ von Chausson, die ja eigentlich für Tenor komponiert wurden, gibt es eine große Lücke in der Diskografie. Dazu singe ich noch Stücke von Jacques Brel oder Joseph Kosma: Populäreres, das ich mit meiner Vokalität interpretieren wollte. Ich bringe also Bluejeans und weiße Sneakers mit Berlioz und Chausson zusammen. Und Smoking und Lackschuhe mit Brel.

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