Die Heimat steht kopf

von Redaktion

Ellen von Unwerth setzt Bayern in ihrem neuen Bildband ein Denkmal

Schaut auf Bayern: Ellen von Unwerth. © Heinz Weissfuss

„Vier Fräulein mit Flausen im Kopf.“ Ellen von Unwerths Idee von einem Sonntag in Bayern. © Ellen von Unwerth/Taschen

Gut gelaunt am See: „Heimat“ ist eine liebevolle, ironische und sexy Hommage an Bayern, wo Ellen von Unwerth aufgewachsen ist. © Ellen von Unwerth/Taschen

Schmarrn, man tritt dieser großartigen und ungewöhnlichen Fotografin nicht zu nahe, wenn dieser Text mit dem Zitat eines anderen beginnt: „Für mich sind Gesichter wie Landschaften“, bemerkte Helmut Newton (1920-2004) dereinst. Unwerths Schaffen atmet den Geist des Berliner Kollegen – inhaltlich, mitunter ästhetisch. Doch dann kommt da noch ihr ganz eigener Humor hinzu, eine feine Ironie oder eine laute Pointe. Eindrucksvoll zu bestaunen ist das in „Heimat“, dem neuen Bildband der Künstlerin. Gesichter werden auf diesen mehr als 400 Seiten zu Landschaften, Landschaften zu Gesichtern: ein Freudenfest des Lebens für alle, die es erkennen können.

Ohne zu sehr ins Psychologisieren zu verfallen, darf man dennoch davon ausgehen, dass der Ursprung dieser satten, meist in Farbe fotografierten Werkserie ein bitterer ist. Ellen von Unwerth wurde 1954 in Frankfurt am Main geboren. Die Eltern starben früh; das Kind wuchs in Bayern auf, im Waisenhaus und bei Pflegefamilien. Mit 16 ging die Jugendliche nach München, entdeckte in der Folge von hier aus die Welt. André Heller holte sie zunächst zum Circus Roncalli, schließlich wurde sie Model, griff dann zur Kamera und baute sich eine Karriere als international gefeierte und gebuchte Fotokünstlerin auf.

„Heimat“ ist eine Hommage an Bayern, das Land, in dem sie einst erwachsen wurde. Eine Hommage, die es in sich hat. Mit genau 3,227 Kilogramm gibt der Kölner Taschen-Verlag das Gewicht des wunderschön gestalteten Buches an. Ein Schwergewicht also, aber eines, das spielerisch, erotisch, verträumt daherkommt und das lustvoll erzählt von der unendlichen Leichtigkeit des Sexyseins.

„Ich wollte die Klischees aufmischen, mich etwas lustig darüber machen, aber auf liebevolle Art“, sagt Ellen von Unwerth. Und das tut sie. Ihre Models hat sie in traumhafter (ober-)bayerischer Natur- und Bergkulisse abgelichtet. Sie tragen Tracht, zeitgenössisch interpretiert (Lola Paltinger unterstützte die Fotografin, außerdem etwa Angermaier, Ena Trachten und Ludwig Beck) – oder eben fast nichts. Unwerth zitiert hier und da die Bildsprache der „Unterm Dirndl wird gejodelt“-Filmchen der Siebziger – reichlich Haut, volle Lippen, eindeutig zweideutige Posen und Sujets – konterkariert diese aber zugleich, indem sie ihre Frauen (Männer sind hier maximal gut geformte Accessoires) sehr selbstbewusst und taff inszeniert hat. „Heimat“ folgt dramaturgisch locker dem Jahreslauf. Szenen bei Arbeiten im Haus und auf dem Hof wechseln sich ab mit Jagdmotiven, mit Anbandeln und Ablegen, freilich darf auch der Besuch auf der Wiesn nicht fehlen.

Vor sieben Jahren hat die Künstlerin einige Bilder in einer Münchner Galerie vorgestellt. Damals erinnerte sie sich im Gespräch mit unserer Zeitung an ihre Zeit in Bayern: „Das ganze Bayerische hat mir nicht gefallen, die Dirndl und so. Viel zu konservativ. Aber ich bin so lange weg aus Deutschland, dass ich jetzt wieder daran anknüpfen kann und will. Es prägt einen eben. Heute finde ich es toll, dass die Tradition weiterlebt.“ So auch in diesem Buch.
MICHAEL SCHLEICHER

Ellen von Unwerth:

„Heimat“. Taschen Verlag, Köln, 452 Seiten; 60 Euro.

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