SALZBURGER FESTSPIELE

„Ich habe es doppelt lieb“

von Redaktion

Mozart ganz intim und Beethoven mit Klecker-Einheiten

Katalanischer Grande serviert Beethoven: Jordi Savall (Mi.) mit Solistinnen und Solisten sowie seinen Ensembles. © Borrelli

Überzeugungstäter mit Mozarts orignalem Clavichord: Bariton Georg Nigl (v.re.), Pianist Alexander Gergelyfi und Schauspieler August Diehl im Saal der Edmundsburg hoch über Salzburg bei ihrer „Nachtmusik“. © Marco Borrelli

Irgendwann wird Georg Nigl dem Hörer auf dem Schoß sitzen. Oder zumindest dicht neben ihm, um Wörter und Töne nicht zu singen, sondern ins Ohr zu flüstern. Hautnah und, wenn es um Ernstes geht, auch ein bisschen unangenehm bis bedrängend. Auf dem Weg zur größtmöglichen Intimität, weg vom repräsentativen Liederabend, ist der Wiener Bariton bekanntlich ein gutes Stück vorangekommen. Mit seinen „Nachtmusiken“, die im zweiten Sommer hoch über Salzburg, in der Edmundsburg, rund 80 Festspiel-Gäste anlocken.

Intimer, leiser als beim Programm „Abendempfindung“ geht es kaum. Weil im Mittelpunkt nicht der Sänger, nicht August Diehl als Sprecher oder Pianist Alexander Gergelyfi stehen. Es ist ein Instrument, vor dem die drei anfangs und am Ende in Anbetung verharren. Und es ist in seinem Silberglöckchen-Charme, der rau und geräuschhaft werden kann, eine stille Klangsensation: Mozarts Clavichord. Eigentlich gehört es dem Mozarteum, 1844 kam es aus dem Nachlass von Franz Xaver Wolfgang, jüngstes Kind des Komponisten, in den Besitz des damaligen Dom-Musikvereins und der heutigen Stiftung.

Es ist kein Tasteninstrument für den öffentlichen Konzertgebrauch, man muss schon genau hinhören. Und einen Beweis für die Authentizität gibt es sogar, ein Zertifikat, geschrieben von Constanze Mozart: „Mein liebes Clavir worauf Mozart so viel gespielt und componir[t] hat als die zauberflöte, la Clemenza di Tito das Requiem und eine freumaurer Cantate. Mozart hatte das Clavir so lieb, und deswegen habe ich es doppel lieb!“ August Diehl liest auch diese Zeilen vor, und für einen Moment blickt man sich um im kleinen Saal: Irgendwo muss Amadé hier sitzen, aber wahrscheinlich lauscht er von oben.

Gleich zweimal hintereinander an einem Abend stellen die drei Überzeugungstäter ihr Projekt vor. Zum Mitternachtskonzert flackern Fackeln auf dem Rasen vor der Edmundsburg, wo auch Wein und Bleifreies ausgeschenkt wird. Kurz nach halb zwei in der Früh wird man sich die dunkle Stiege zum Toscaninihof wieder hinabtasten.

Diehl liest viel in diesem Programm, das „Abendempfindung“ heißt wie Mozarts wohl berühmtestes Lied – wobei dieses, eine typische Pointe der Beteiligten, gar nicht gesungen wird. Schmunzeln auch, als Diehl den Text von Falcos Hit vorträgt, jedes „Amadeus“ (und es sind viele) sorgsam formulierend. Alles eine literarische Umkreisung, auch mit Zeitzeugnissen, eines ungreifbaren Genies. Und das bis zum Finale, wenn Mozarts letzte Stunden beschrieben werden und Alexander Gergelyfi dazu die acht erhaltenen Lacrimosa-Takte aus Mozarts unvollendetem Requiem spielt. Da hat dieser Virtuose und Tastenflüsterer bereits den größten Coup seiner Beiträge hinter sich: die „Zauberflöten“-Ouvertüre als Gruß aus einem Klang-Liliput.

Nigl singt Mozarts „Kinderspiel“ (das bei ihm nichts Naives hat), aber auch Don Giovannis „Deh, vieni alla finestra“ oder „Ein Mädchen oder Weibchen“ von Papageno, der bei Nigl ein lüsterner Bruder des Schürzenjägers ist. So, wie Nigl gestaltet, wird bei ihm ohnehin jede Figur zum potenziellen Täter. Der Mann, auch das besticht in seinem Wienerisch gefärbtem Vortrag, macht manchmal Angst. Das Clavichord-Experiment gibt es demnächst für die Ewigkeit, eine CD wurde schon im Mai in Salzburg aufgezeichnet.

Während Nigl & Co. also 30 Meter über der Stadt als Antipoden des Festspielzirkus auftreten, gibt es unten drei Stunden vorher klassische Kulinarik. Beethovens Achte und Neunte – naturgemäß ist das Haus für Mozart pickepackevoll. Und Jordi Savall, katalanischer Grande der Alten Musik, 83, mit einer Krücke auftretend, nimmt am Ende huldvoll die Standing Ovations entgegen.

Beethoven ohne Pathos und Hitze

Wie immer bei ihm ist alles fein abgeschmeckt. Der Furor des Ensembles Le Concert des Nations klingt nicht überhitzt, sondern natürlich. Viel Delikatesse, kein derber Witz. Eine schöne, feine, flexible Agogik, ein tiefenscharfes, samtig grundiertes Klangbild. Beethoven diesseitig, pathosarm und ohne Transzendenz. Wo andere lustvoll verzögern, treibt Savall an und lässt die Musik sprechen, nicht ihren Interpreten. Besonders im zügig durchpulsten Adagio der Neunten: Melancholie oder Gefühligkeit? Nicht mit ihm.

Was es aber auch gibt: Unschärfebeziehungen, Klecker-Einheiten, nicht sattelfeste Bläser, die Streicher spielen nicht immer geschlossen. Man spürt, dass es Savall nicht einfach laufen lassen kann. Es ist gewiss kein schlechter Abend, aber manches irritiert. Dafür gibt es im Freuden-Finale aparte Kontraste. Hier Solisten wie Manuel Walser, der das Bariton-Solo als vergrößertes Lied gestaltet, dort der Chor von La Capella Nacional de Catalunya, dessen Klang sich in den Saal fräst. Von Savalls Beethoven gibt es schon eine CD, sie ist phänomenal. Und schlägt locker das Salzburger Live-Konzert.

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