Alma Reville und Alfred Hitchcock waren nicht nur verheiratet, sie waren auch künstlerisch ebenbürtige Kollegen. Am 13. und 14. August jähren sich ihre Geburtstage zum 125. Mal. © Hansa Bild
Das Buch habe Jahre gedauert. Nicht das Schreiben, sondern das Recherchieren und vor allem das Reifen einer Idee, die schon lange in den Tiefen schlummerte. Mit „Eine Liebe fürs Leben“ hat der in München lebende Autor Thilo Wydra nun sein drittes Werk über den Regisseur Alfred Hitchcock (1899-1980) veröffentlicht. Oder besser: über die Hitchcocks. Denn es handelt nicht nur vom bekannten Filmemacher Alfred, sondern auch von dessen Ehefrau Alma (1899-1982). Damit hat der Autor offenbar Neuland betreten. Denn seine wichtigsten Quellen und Interviewpartner bestätigten ihm: Weltweit sei es das erste Buch über die beiden als Paar.
Dass überhaupt eine Frau Hitchcock existierte, die maßgeblichen Anteil an der künstlerischen Arbeit hatte, scheinen in Deutschland nicht allzu viele zu wissen. Selbst der Verlag gab gegenüber dem Autor zu, sich bislang kaum Gedanken darüber gemacht zu haben. „Sie war sein Ein und Alles, die wichtigste Frau in seinem Leben“, sagt Wydra.
Das mag auf viele Ehepartner zutreffen, die ohne den anderen nicht existieren können. Doch in diesem Fall ist etwas anders: Alma Reville und Alfred Hitchcock waren nicht nur verheiratet, sie waren auch künstlerisch ebenbürtige Kollegen. „Sie war nicht die Frau hinter dem Genie, sie war mindestens paritätisch, gleichberechtigt.“ Alma hatte, als sich die beiden 1921 erstmals in den Londoner Islington Studios über den Weg liefen, schon deutlich mehr Erfahrung im Filmgeschäft als Alfred. Sie arbeitete damals etwa als Regieassistentin und Cutterin, als Continuity-Beauftragte mit der Aufgabe, Anschlussfehler zu verhindern, und später auch als Drehbuchautorin. Über die Schnittkunst soll sie einmal gesagt haben: Sie „ist in der Tat eine Kunst … und ist von weitaus größerer Bedeutung als allgemein anerkannt“.
Für das knapp 500 Seiten fassende Werk reiste Wydra im vergangenen Sommer für mehrere Wochen nach Kalifornien zur Recherche. „Ohne neue Quellen, ohne mit jemandem gesprochen zu haben, hätte es mich nicht gereizt, das Buch zu schreiben“, erläutert er. „Ich möchte bei den Leuten sein, ich möchte das Material in der Hand halten.“ Also nahm er Kontakt zu den HitchcockEnkelinnen auf, fuhr nach San Francisco sowie ins Städtchen Thousand Oaks und führte Interviews. Eine weitere Reise ging zum Hitchcock-Nachlass nach Los Angeles. „Er ist so gigantisch groß“, berichtet der Autor. „Ich hätte mich dort einmieten können, mit Liege und allem.“ Über Alma Reville allerdings fand er in Sachen Literatur wenig. „Es gibt zwei wissenschaftliche Essays und ein Familienbuch von Almas Tochter Patricia mit Anekdoten und Kochrezepten.“
Dass das weltweit alles sein soll, was über diese Frau publiziert wurde, ist ihm ein Rätsel. Denn Frau Hitchcock sei nicht nur das Wichtigste im Leben des Regisseurs gewesen, er habe sie nie versteckt. Ganz im Gegenteil. Hitchcock, so versicherten die Enkelinnen teils unter Tränen, war auf seine Frau angewiesen – nicht nur privat und familiär, sondern auch beruflich und künstlerisch. Kam etwa ein neuer Stoff, sagte der Regisseur: „Madam has to read the Book.“ Nur wenn sie zustimmte, wurde daraus ein neuer Hitchcock-Film. Alma castete die Schauspielerinnen, nahm die Filme ab und entdeckte als einzige ein Zwinkern von Janet Leigh in „Psycho“ kurz nach der Ermordung ihrer Figur. „Sie hat eben nicht einfach nur die Kabel gehalten“, scherzt Wydra. „Ohne Alma lief eigentlich nichts. Sie war Drehbuchautorin, künstlerische Beraterin und entwickelte etwa mit Thornton Wilder und Raymond Chandler Stoffe für Hitch.“
Auch privat sei der Regisseur auf seine Frau angewiesen gewesen. „Er war hilflos ohne sie, brauchte für jeden Schritt ihren Rat.“ Während Hitch zwar die Stadtpläne von New York und London auswendig kannte, hatte er mit dem eigentlichen Leben und dem Umgang mit Menschen Probleme. Alma dagegen trat als gestandene, selbstbewusste, früh emanzipierte Frau auf, war in den Zwanzigerjahren sogar gefürchtet in den Londoner Studios. Angeblich hatte sie auch verfügt, dass Alfred stets innerhalb eines strengen Zeitkorsetts drehte, von neun bis fünf, dann war Schluss. Als ihn Mitarbeiter darauf ansprachen, warum er nicht in der Nacht filmte, antwortete er: „Ich muss um sechs zu Hause sein, Madam wartet mit dem Abendessen.‘“
KATRIN HILDEBRAND
Thilo Wydra:
„Alma & Alfred Hitchcock.
Eine Liebe fürs Leben“. Heyne, 496 Seiten; 24 Euro.