Kino-Regisseur am Rande des Nervenzusammenbruchs: Benjamin Bernheim (liegend) als Hoffmann in der Inszenierung von Mariame Clément. © Monika Rittershaus
Besitzer einer Besetzungscouch, das käme für diesen Mann zu früh. Doch drei, vier Filmprojekte weiter inklusive entsprechender Erlöse, und das Früchtchen könnte sich zu Weinstein/Wedel 2.0 mausern. Vorerst ist Hoffmann, JungRegisseur mit Ambitionen, weniger mit #MeToo und Missbrauch beschäftigt, der arbeitet Frauengeschichten noch per Film auf. Diese Erzählungen à la Hoffmann bleiben also Kino-Porträts, wobei sich mit der einen oder anderen Actrice schon mal eine reale Affäre entspinnt.
Die Oper als Ort fürs Filmset, das ist der allerletzte, schon heiser gewordene Regie-Schrei. Offenbar hat keiner Mariame Clément gesagt, verantwortlich für „Les contes d’Hoffmann“ bei den Salzburger Festspielen, dass Christoph Marthaler ein Jahr zuvor just auf dieselbe Idee am selben Ort für Verdis „Falstaff“ gekommen ist. Dazu noch jüngst Kornél Mundroczó mit seiner Münchner „Tosca“ nebst diverser anderer Produktionen – das Konzept müffelt streng.
Im Großen Festspielhaus wird alles aufgefahren, was das Dreh-Klischee hergibt. Kameramänner, Assistenten, Maskenbildnerinnen, biedermeierlich verkleidete Schauspieler-Sänger, eine gigantische, leer drehende Beschäftigungsaktion. Und mittendrin Regisseur Hoffmann, von sich und seiner Sendung überzeugt, anfangs noch als scheuer Anfänger, später als genervter Star, der einen Film-Lover beiseiteschiebt und selbst vor der Kamera die Hauptdarstellerin in den Arm nimmt: So macht man das.
„Hoffmanns Erzählungen“, diese Episoden aus dem Leben eines gescheiterten Künstlers, demnach nichts mehr als Lovestory-Material für den Film? Jacques Offenbachs Oper schnurrt da zusammen auf bloßen Kintopp. Eine Themaverfehlung. Denn dort, wo der Komponist mit Verweis auf die Schauerromantik E.T.A. Hoffmanns einen Mann durch seine tragischen, rätselhaften, dämonischen, tödlichen Lebensepisoden irren lässt, wird hier alles verkleinert auf eine Als-ob-Emotion. Am fatalsten im Antonia Akt: Jedes Mal, wenn sich die unheilbar kranke Hoffmann-Liebe zum verbotenen Singen entschließt, bleibt das Aktion für die Kamera. Die Tragik der Beziehung zwischen Hoffmann und Antonia, ihr Pathos, die existenzielle Abgründigkeit – nur eine hübsche Drehbuch-Idee.
Entsprechend lässt Ausstatterin Julia Hansen die falschen Kulissen rotieren und im (ohnehin rudimentär komponierten) Giulietta-Akt alles ins Surreale driften. Da wird Hoffmann von seinen Erinnerungen und Lebensfiguren bedroht. Doch keine Sorge, wie die hastig geleerte Schnapsflasche zeigt: Der Mann ist ja nur betrunken. Gelegentlich fühlt man sich leidlich unterhalten, traditionell im Olympia-Bild. Die Puppe ist bei Clement eine Püppi, schnippische Jung-Darstellerin zwischen Barbarella und bezaubernder Jeannie. Doch alles nur Regie-Fast-Food: „Les contes d’Hoffmann“ in Salzburg, das ist eine aufs Cinemasope-Format aufgepumpte Nettigkeit. Während für die Szene die falsche Regisseurin verantwortlich ist, steht im Graben der falsche Dirigent. Marc Minkowski hat oft bewiesen, gut er den dreckigen Ton von Offenbachs Operetten trifft. Doch dann agierte er meist vor eigenen Ensembles, nicht vor den Wiener Philharmonikern. Die sind hörbar irritiert von der Schlagtechnik des Franzosen. Der ackert und treibt, ist nach 30 Minuten vollkommen durchnässt. Bühne und Orchester klingen wie entkoppelt. Die Musik rastet kaum ein, das Gesangspersonal wird nicht geführt, die großen Ensembles klappern wie im ungeprobten Repertoire-Alltag.
Minkowski, das spürt man, hätte eine gute Idee vom Stück, von den Bizarrerien dieser Musik, ihrem Drive, ihrer zugespitzten Klanglichkeit. Doch obgleich sich alles im Verlauf der Premiere bessert: Für die Umsetzung fehlt ihm das Handwerk. Es ist das typische Beispiel eines Alte-MusikExperten, der nur mit seinen, also auf ihn eingeschworenen Orchestern zurechtkommt. Außerdem ist fast alles zu laut. Gerade Benjamin Bernheim, im französischen Fach als Nummer eins gehandelt, hätte man ein anderes Umfeld gewünscht.
Die Clarté seiner Klangbildung, die Flexibilität, die musterhaft gemischten Resonanzen während der Höhenflüge, auch der konzentrierte Tenor-Ton rechtfertigen den Hype um den Pariser. Diese intelligente Gestaltung springt einem ins Ohr. Auch Bernheims Gefühl fürs Timing: Die Kleinzack-Arie wird zum so lässigen wie eindringlichen Gesang eines Opern-Crooners. Und trotzdem vernimmt man auch Grenzgänge, Überreiztes. Ein kleinerer Raum, ein anderer Dirigent, und Bernheim wäre der Muster-Hoffmann.
Noch eklatanter ist das bei Kathryn Lewek, für alle vier Frauenpartien mit ihren vier verschiedenen Stimmanforderungen gebucht. Die Olympia singt sie mit fein-lyrischem Ton, als Antonia muss sie forcieren. Christian Van Horn, er ist mit allen vier Bösewichtern dabei, kommt dagegen locker durch. Alles satt und klangvoll, doch zugleich monochrom und ohne jene Delikatesse, die gerade in der französischen Oper so wichtig wären. Kate Lindsey als Muse und Nicklausse bleibt merkwürdig belegt. Fast scheint es, als ob alle nur auf Durchkommen singen.
Eine letztgültige Hoffmann-Version gibt es bekanntlich nicht. Die Salzburger Fassung, dies für die Nerds, ist weitgehend identisch mit der des Musikwissenschaftlers Jean-Christoph Keck. Auf Dapertuttos Hit der „Spiegel-Arie“ müssen Stimmschlürfer verzichten, dafür gibt es eine frühere Variante. Das Unfertige der Oper vor allem im Venedig-Bild nutzen andere für ein kluges Spiel mit Ebenen und Bruchstücken, man denke nur an Stefan Herheims legendäre Bregenzer Inszenierung. In Salzburg ist das alles irgendwann egal. Auch ein Alarmzeichen.
Weitere Vorstellungen
am 16., 21., 24., 27. und 30. August; www.salzburgerfestspiele.at; TV-Ausstrahlung am
16. August, 22 Uhr, auf Arte.