So viel Liebe in der Luft

von Redaktion

Coldplay berühren München beim ersten von drei Olympiastadion-Konzerten

Einladung zum Spielen: Das Münchner Olympiastadion wurde zum funkelnden Bällebad. © Martin Hangen

Doppelherz: Leuchtbändchen sorgten für schönste Muster. © kjk

Überraschungsgast: Shawn Mendes sang „Fix you“. © kjk

Menschgewordener Chef der Gummibärenbande: Coldplay-Frontmann Chris Martin in seinem Element. © Martin Hangen

Ziemlich verzückt fragt man sich am späten Donnerstagabend im Münchner Olympiastadion, seit wann dieser attraktive dunkelhaarige Typ bei Coldplay Gitarre spielt. Schaut ja aus wie Shawn Mendes. Es zoomt die Kamera noch stärker heran, es lächelt der Bursche auf der Bühne dieses unverschämt gesund aussehende Lächeln eines unverschämt gesund lebenden Kanadiers – und jetzt ist klar: Das ist Shawn Mendes. Wenn ein Superstar wie er spontan für ein Duett vorbeischaut, muss es Coldplay sein.

Chris Martin am Klavier, Shawn Mendes an der Gitarre, gemeinsam singen sie „Fix you“, eine der schönsten Balladen der britischen Band. Zart haucht der 26-jährige Überraschungsgast die letzte Strophe allein: „Lights will guide you home/ and ignite your bones/ and I will try to fix you.“ Zu Deutsch: „Lichter werden dich nach Hause führen/ Und in deinem Körper neues Leben entfachen/ Und ich werde versuchen, dich aufzurichten.“ Es wäre ein perfekter Abschluss eines perfekten Konzertabends. Nur möchte hier noch keiner nach Hause gehen. Weil alle diese Energie weiter spüren wollen, die das fünfminütige Lied bündelt – und damit sinnbildlich steht für das, was Chris Martin, Guy Berryman, Jonny Buckland und Will Champion bis zu diesem Moment gegen 22.30 Uhr in einer unvergesslichen Sommernacht bereits gezaubert haben.

Ein Coldplay-Konzert bedeutet ja nicht bloß, grandiose Musik zu hören. Ein Coldplay-Konzert ist ein Fest der Mitmenschlichkeit. War es schon damals, Ende der Neunziger, als die vier Briten ihre Band gründeten. Was mit einfühlsamen Texten, hymnischen Melodien, einer enormen Zugewandtheit zum Publikum begann, hat sich über die Jahre zum bis ins kleinste Detail perfektionierten Konzept entwickelt. Chris Martins Kinder heißen Apple und Moses. Damit hat der Papa ihnen (mit Mama Gwyneth Paltrow) Namen gegeben, die seine Lebensphilosophie spiegeln. Apple, der Apfel – unermüdlich setzt sich die Band für Umweltschutz ein. Das hat – Prophet Moses – immer mehr von Missionierung.

Manche belächeln das, manche finden, jetzt übertreiben sie es etwas mit der immerwährenden regenbogenbunten Weltumarmung; mit den Videobotschaften auf Großleinwand über vermüllte Meere und abgeholzte Wälder; mit ihrem Versuch, alle Konzerte möglichst klimaneutral zu halten und deshalb kinetische Böden auszulegen, die dafür sorgen, dass die Bewegungen des Publikums direkt in elektrische Energie für die nächste Show umgewandelt werden; oder mit der Idee, für jedes verkaufte Konzertticket einen Baum zu pflanzen. Immer-was-zum-Meckern-Finder sagen: Wenn Coldplay wirklich klimaneutral sein wollen, dürfen sie solche gigantischen Shows gar nicht spielen. Dann ertönt der erste Takt von „Higher Power“ – und fegt dieses Totschlagargument einfach weit weg heraus aus dem Münchner Olympiastadion, in dem zehntausende Gesichter zeigen, warum keine Konzert zu geben auch keine Lösung ist. Die Sehnsucht nach Wohlfühlmomenten wie diesen, sie ist da. So voll wie an diesem Abend war der Olympiapark selten (siehe unten).

Von Taylor Swift über Adele bis eben Coldplay: allesamt Künstlerinnen und Künstler, deren Auftritte für Gemeinschaftsgefühl sorgen, Kummer verarbeiten helfen, ein paar Stunden Weltflucht ermöglichen. Das ist eins der schönsten Zuckerl der Coldplay-Sausen: Jeder bekommt am Eingang ein (recycelbares!) Leuchtbändchen, die Lichttechniker sorgen dafür, dass sie alle während des Abends perfekt choreografiert in unterschiedlichen Farben funkeln, sich auf den Stadionrängen blinkende Muster bilden, riesengroße rote Herzen beispielsweise. Kitschig? Oder einfach: schön.

Famoser Nebeneffekt: Leuchtet das eigene Ärmchen, reckt man’s automatisch in die Höhe. „Put your Phone in your Pocket, put your Hands in the Sky“, animiert Chris Martin. Handys in die Tasche, Hände in die Höhe – ach, stimmt ja, so fühlte sich das damals an, als noch nicht alle wie paralysiert ständig mitfilmten. Stattdessen Moment genießen, und: sich gesehen fühlen. Mit seinen azurblauen Augen nimmt Martin sie sämtlich in den Blick. „Ihr vorne, ihr hinten, ihr rechts, ihr links, ihr auf dem Hill – wir freuen uns, dass ihr gekommen seid, unsere lieben Freundinnen und Freunde!“, ruft der menschgewordene Gummibärenbanden-Chef auf Deutsch, schwärmt von München, vom Eisbach-Baden, vom Flanieren im Englischen Garten, vom Besuch der Adele-Konzerte. Hat er selbst schon in Riem getan. Und bedankt sich bei seiner britischen Landsfrau mit seiner hinreißenden Version ihres „Someone like you“ dafür, dass sie an den drei Abenden, an denen Coldplay in München spielt, in der Adele Arena pausiert. Damit die Fans, die richtig viel Glück (und Geld in der Portokasse) haben, beides erleben können. Eine große Schaufel Liebe, Miteinander, „Paradise“. Mit diesem Hochgefühl und wiederaufbereitetem Konfetti in den Haaren taumeln die Fans um kurz vor elf in die Nacht. Miteinander? Fühlt sich gut an.
KATJA KRAFT

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