Der Schöne und das Biest

von Redaktion

Händels „Arianna“ als exzellent gesungene Premiere bei den Innsbrucker Festwochen

Kurzer Kampf mit einem müden Monster: Teseo (Andrea Gavagnin), der Königssohn aus Athen, besiegt im Labyrinth von Kreta den Minotaurus und bekommt am Ende seine Arianna. © Birgit Gufler

Zu viel gefressen? Zu lang durchs Labyrinth geirrt? Der Minotaurus ist müde. Während sich vorn sein Jäger mit Koloraturen warmläuft, schlurft er hinten über die Bühne. Nach aktiver Beutesuche sieht das nicht aus, der Tod durch zwei Messerstiche Teseos kommt auch recht schnell. Das sagenhafte, eigentlich furchterregende Mischwesen, dem Kretas König Minos alle sieben Jahre sieben Jünglinge und Jungfrauen aus Athener Lieferung vorwerfen lässt, ist in dieser Oper ohnehin nur Kurzzeit-Episode.

„Arianna in Creta“ heißt sie und wurde von Georg Friedrich Händel komponiert, als sein Londoner Opernunternehmen beinahe Konkurs ging. Die Konkurrenz zog fast alle Stars ab und das Publikum an. Händel blieb eigentlich nur Giovanni Carestini, dem er den Teseo in die Kehle schrieb. Wie der Wunder-Kastrat geklungen haben muss, das lässt sich bei dieser Premiere der Innsbrucker Festwochen gut erahnen. Verzierungssprints, heftige Intervallausschläge, extrem lang ausgehaltene Töne, die man mit „Messa di voce“ an- und abschwellen lässt: Atemkontrolle und Virtuosität Carestinis müssen spektakulär gewesen sein.

Innsbruck vertraut hier auf den italienischen Countertenor Andrea Gavagnin, Jahrgang 1997 und Finalist beim dortigen Cesti-Wettbewerb vor zwei Jahren. Wie überhaupt die „Barockoper jung“, traditionell zweite Premiere des Festivals, die Talentschuppen-Produktion ist. Fast alle Positionen werden mit Teilnehmern des Gesangswettkampfs bestückt. Gavagnin bringt vieles mit für die eigentliche Hauptpartie, eine exzellent fokussierte Stimme, Geläufigkeit, dramatisches Potenzial und ein Timbre, das weniger süßlich klingt, eher nach einer aparten Aceto vocale. Noch jongliert er nicht hundertprozentig frei mit den vielen Tönen, die Karriereprognose ist jedoch bestens.

Auch bei Mathilde Ortscheidt als kretischer General Tauride, die mit ihrer warmen und weichen, weiten und sehr elastischen Altstimme dazu kontrastiert. Überhaupt wird durchwegs hervorragend gesungen, bei den kniffligen Arien keine Selbstverständlichkeit. Die Handlung ist eine Variation des Ariadne-Mythos: Arianna und Teseo, Letzterer Königssohn des von Kreta besiegten Athen, sind zwar füreinander bestimmt. Doch da gibt es Verwirrungen, vor allem Eifersüchteleien. Carilda, für den Minotaurus bestimmte athenische Jungfrau, hat sich in Teseo verliebt – was Arianna suboptimal findet. Am Ende ist das Monster tot, Carilda bekommt Tesos Freund Alceste. Und Arianna entpuppt sich als totgeglaubte Tochter von Kreterkönig Minos.

Wie immer beim Barock ist der emotionale Ausnahmezustand, der per Arie bewältigt werden muss, wichtiger als die stringente Erzählung. Und dass man dranbleibt am verschachtelten Stück, ist Händels tief lotenden bis mitreißenden Nummern zu danken. Dirigent Angelo Michele Errico, der vom Cembalo aus das Barockorchester:Jung leitet, dürfte einiges gekürzt haben. Ergebnis sind dreieinviertel Stunden mit Pause, einzig die Zielgerade, auf der eigentlich alles geklärt ist, wird arg lang.

In den Kammerspielen neben dem Tiroler Landestheater sind keine szenischen Entladungen möglich. Regisseur Stephen Taylor, Christian Pinaud (Bühne) und Nathalie Prats (Kostüme) liefern daher Bilder-Diät. Der erste Teil spielt vor einer Tresor-Tür, quasi der Warteraum zum Labyrinth. Später drehen sich einige Kulissenelemente, Wandwinkel deuten kleinere Räume an, hinter einer Gittertür verbirgt sich das Monster, das zunächst als bedrohlicher Schattenriss zu sehen ist. Dazu gibt es wenige, umso wirkungsvollere Symbole. Und dass alles Richtung Gegenwart gerückt wird, ist wohl mittlerweile Inszenierungsbedingung nicht nur hier.

Eine starke Reduktion also. Doch die passt, weil sie Raum öffnet für Gesang und Ausstrahlung der Solistinnen und Solisten. Wie stark gestisches Singen in intimer Atmosphäre wirken kann, das erfährt man bei dieser Innsbrucker Produktion. Ester Ferraro hat für ihre ausgebootete Carilda das vokale Feintuning und die nötigen Farben. Josipa Bilic (Alceste) gestaltet mit herber Delikatesse. Giacomo Nanni bringt für Kreterkönig Minos Präsenz und Macho-Töne mit. Neima Fischer ist eine höhensichere, filigran klingende, fast soubrettige Arianne.

Und auch das passiert immer wieder bei den Festwochen: Die Nachwuchsproduktion ist vom Orchester her aufregender und offensiver als die Eröffnungspremiere. In diesem Fall liegt’s an Dirigent Errico, der an der Partitur zündelt, aber stets engen Kontakt zum Gesangspersonal hält. Einige Namen davon muss man sich merken, sie dürften uns an prominenteren Orten wiederbegegnen.

Weitere Vorstellungen

am 19., 20. und 22. August;
www.altemusik.at.

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