„Es macht 100 Prozent mehr Spaß“: Mario Steidl ist eigentlich gelernter Koch. Nun ist er verantwortlich für den großen Erfolg des Festivals im österreichischen Pinzgau. © Heinz Beyer
Als Mario Steidl 2004 die Leitung des Jazzfestivals Saalfelden übernahm, trat er ein doppelt schweres Erbe an. Der damals 32-jährige gelernte Koch, bekennender Metal-Fan (neben der Liebe zum Jazz) und seit einigen Jahren an der Festivalproduktion beteiligt, trat in große Fußstapfen, hatte sich das Festival doch mit seinen ersten 25 Ausgaben Weltgeltung erworben. Andererseits war sein Vorgänger mit dem Budget derart „kreativ“ umgegangen, dass der Fortbestand der Veranstaltung gefährdet war. Nachdem das Festival 2005 ein Jahr pausierte, um sich zu konsolidieren, zog man 2006 ins städtische Veranstaltungszentrum Congress um. Der Beginn einer neuen Erfolgsgeschichte: Die Konzerte sind ausverkauft, außerdem hat Steidl das Programm – mit Neuentdeckungen anstelle langjähriger Stammgäste – verjüngt, mit einer hohen Frauenquote den stark gestiegenen Anteil herausragender Instrumentalistinnen widergespiegelt und den ganzen Ort mit zusätzlichen Gratiskonzerten einbezogen. An diesem Donnerstag startet die 44. Ausgabe.
Welchen Herausforderungen sieht man sich als Intendant eines renommierten Jazzfestivals heute gegenüber, die es vor 20 Jahren noch nicht gab?
Das Angebot an Musik ist wesentlich vielfältiger, aber auch unüberschaubarer geworden. Vor 20 Jahren waren es noch einige hundert CDs, die man zugeschickt bekommen und sich auch alle angehört hat. Heute sind es im Jahr über 1000 Bewerbungen, Musiker nutzen moderne digitale Plattformen, um ihre Musik zu schaffen und zu teilen. Streaming-Dienste haben den Zugang zu Jazzmusik global erweitert, aber auch enorm unübersichtlich gemacht. Das Festival hat sich zudem sehr verändert: Wir sind von ursprünglich 25 auf über 60 Konzerte angewachsen und versuchen, möglichst viele Menschen partizipieren zu lassen, um den Jazz für sich zu entdecken. Das ist viel mehr Arbeit, aber es macht auch 100 Prozent mehr Spaß.
Was sind die wichtigsten Veränderungen in der Jazzszene der letzten 20 Jahre, die Sie wahrnehmen und im Programm abzubilden versuchen?
Die Experimentierfreudigkeit bei Improvisationstechniken ist noch vielfältiger geworden, Musiker nutzen unkonventionelle Instrumente, elektronische Effekte und unorthodoxe Spielweisen, um neue Klanglandschaften zu schaffen. Andererseits legen viele einen stärkeren Fokus auf durchkomponierte Werke. Aber Jazz ist wie schon immer nach wie vor ein Genre, das sich ständig weiterentwickelt, sich durch Experimentierfreude auszeichnet, und das macht es einfach auch so spannend. Ich sehe zudem eine deutlich stärkere Vernetzung von Musikern als vor 20 Jahren. Es ist unglaublich, wie viele in verschiedenen Projekten mitspielen, sich austauschen, regelrecht zu Familien werden. Das Miteinander steht sehr vielen stärker im Vordergrund als das Ego. Das hat sich im Übrigen auch bei den Veranstaltern sehr verändert. Damals gab es noch dieses „Ich bin der Erste und Einzige, der Projekt XY gebucht hat“. Eine Zusammenarbeit mit anderen Festivals war eher die Ausnahme. Heute tauscht man sich aus.
Wie hat sich das Publikum verändert?
Es ist offener geworden. Die viel zitierte und oftmals belächelte „Jazzpolizei“, die Gralshüter des „wahren“ Jazz, gibt es fast nicht mehr. Ich weiß das sehr zu schätzen, ein Publikum anzutreffen, das neugierig ist und sich gern überraschen lässt. Es freut mich auch, dass so viel junges Publikum nachkommt.
Wie hat sich die Finanzierung verändert? Sind die öffentlichen Mittel weniger geworden? Ist es heute leichter oder schwerer, Sponsoren zu finden?
Tatsächlich war es früher einfacher, Sponsoren zu finden, und die Förderungen sind nicht überall in Höhe der Inflation mitgestiegen. Die Kosten für Reisen, Hotels, Technik, Personal sind in den letzten Jahren regelrecht explodiert, und das wird sich in absehbarer Zeit zwangsläufig auch auf die Programmgestaltung auswirken, sollten die Subventionen nicht im entsprechenden Ausmaß mitwachsen. Parallel dazu können wir uns aktuell mit einem neuen Kulturstadtrat in Saalfelden herumschlagen, der die Subventionen fürs Festival und das Kulturzentrum Nexus als viel zu hoch erachtet und diese massiv beschneiden will. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass wir das Niveau des Festivals in den kommenden Jahren halten können – im Improvisieren sind wir ja sehr gut.
Was hätten Sie gerne schon vor 20 Jahren gewusst, was Ihnen heute klar ist?
Einerseits, dass das Geheimnis eines erfolgreichen Festivals nicht darin liegen muss, große alte Namen zu präsentieren, sondern der Umstand, dass man ein Publikum auch fordern kann und es sich mit ungewöhnlichen Formaten, Konzertorten und stilistischen Grenzüberschreitungen auch gern überraschen lässt. Aber am wichtigsten ist die Erkenntnis, dass ein Festival so gut ist wie seine Produktion. Ich habe in Daniela Neumayer eine kongeniale Partnerin gefunden, die als Produktionsleiterin fürs Festival brennt, immer offen ist für neue Ideen und auch selbst welche einbringt. Wenn du als künstlerischer Leiter so jemanden an deiner Seite hast, der mit dir an einem Strang zieht, ist das ein Gewinn fürs gesamte Festival und ebenso wichtig wie das Programm.