SALZBURGER FESTSPIELE

Die Zeit verrinnt

von Redaktion

Wenig verzaubernder „Zauberberg“

Sanfte Annäherung: Clawdia (Alvyde Pikturnaite) und Hans (Donatas Želvys). © Konrad Fersterer

Eins muss man Krystian Lupa lassen: Das mit der subjektiven Zeitwahrnehmung vermittelt uns der polnische Regisseur durch seine Inszenierung von Thomas Manns „Der Zauberberg“ (1924) sehr nachvollziehbar. Fünf Stunden wandern durch Oberbayern – herrlich, vergehen wie im Flug. Doch fünf Stunden gedankliches Kraxeln auf Lupas „Zauberberg“ – mitunter schmerzhaft langatmig und redundant. Wer am Dienstagabend die komplette Premiere im Salzburger Landestheater über sich ergehen ließ, verdient ein Fleißkärtchen. Viele waren es nicht. Schon nach der ersten Stunde verließen etliche den Saal, nach der halbstündigen Pause dann waren die Reihen nur noch schütter besetzt.

Dabei ist der Ansatz Krystian Lupas, der außer für Regie und Textfassung auch für Bühne und Licht verantwortlich zeichnet, ja durchaus interessant. Diese Heilanstalt im Hochgebirge hat Thomas Mann (1875-1955) selbst als surrealen Ort angelegt. Lupa verwandelt das in albtraumhafte Bilder. Durch Videoprojektionen auf einen durchscheinenden Gazevorhang (Videoregie: Natan Berkowicz) und Live-Kamera-Einspielungen (Nikodem Marek) verschwimmen die Zeitebenen, wirkt alles der Welt entrückt. Insbesondere die im Sanatorium vor sich hin existierenden Personen, die meisten unheilbar krank, dem Tod geweiht.

Lupa möchte das Stück mit der Entstehungsgeschichte des Romans und der Biografie des Autors verzahnen. Deshalb wird konsequent Litauisch gesprochen. Nach Litauen reiste Mann fünf Jahre nach Erscheinen des „Zauberbergs“ und bezog dort zwei Sommer lang mit seiner Familie ein Domizil im Örtchen Nida. Doch mit Erstarken des Nationalsozialismus endete das dortige Idyll. Lupa will also viel: Die Gräuel des Ersten Weltkrieges, zu dessen Zeit der Roman spielt, ebenso erzählen wie die Menschheitskatastrophe der NS-Zeit – inklusive Vorgriff aufs Heute als Mahnung, wie schnell wir vergessen, nichts dazulernen.

Alles ein bisschen zu viel. Und: alles blutleer, kopflastig. Das mag auch an der litauischen Sprache liegen. Jene im Publikum, die sie beherrschen und nicht unentwegt auf die Monitore mit der Übersetzung schielen müssen, zeigen während der fünfstündigen Vorstellung vereinzelt Reaktionen wie Lachen, Erstaunen. Alle anderen quälen sich sichtlich. Dabei macht das engagierte Ensemble seine Sache gut. Fügt sich ganz in die tristen Gedankenspiele über Liebe, Krankheit, Tod. Die kaum Erkenntnisgewinn bringen, außer: Die Zeit vergeht und wir werden und werden nicht schlauer.

Gerade Donatas Želvys als Hans Castorp mit seinem ins Gesicht geschriebenen Weltschmerz geht einem recht bald auf die Nerven. Wie der Typ, der nach einem langen Abend mit Freunden einfach sitzen bleibt und am von Rotweinflecken übersäten Tisch weiter philosophiert, während die Gastgeber nur: ins Bett wollen. Und stöhnen wie die Stimme aus dem Off, die ununterbrochen ächzt, aufheult, Wörter auf Deutsch einstreut.

Vielleicht fühlt sich all das deshalb wie eine Zumutung an, weil einem in diesem surrealen Albtraumzenario ständig vor Augen geführt wird, wie schnell Lebenszeit verrinnt. Stunde um Stunde ertappt man sich bei dem Gedanken: wieder eine weniger.

Weitere Vorstellungen

am 24., 26. und 28. August; Karten: 0043 / 662 80 45 50 0.

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