Die neuen Lieder des Dichters

von Redaktion

Schriftsteller Maxim Biller legt mit „Studio“ sein zweites Album vor

Arrangeur: Der Multiinstrumentalist Malakoff Kowalski war mit Maxim Biller im Studio. © Tobias Kruse

Der Sound der Stadt: Bei seiner Lesung im Schumann‘s rief Maxim Biller seinem Publikum etwa auch den Klang des Rollsplitts auf winterlichen Münchner Gehwegen in Erinnerung. © Astrid Schmidhuber

Dieser Mann spürt Klänge. Wer dafür eines Beweises bedarf, dem sei Maxim Billers jüngster München-Auftritt in Erinnerung gerufen. Eigentlich war er im vergangenen Oktober in Schumann’s Bar gekommen, um seinen Roman „Mama Odessa“ vorzustellen. Ums Buch ging’s damals auch – zugleich jedoch um vieles mehr. So erinnerte sich der Schriftsteller unter anderem an den Sound der Stadt, in der er 20 Jahre lebte. Konkret etwa an das Geräusch, das der Rollsplitt im Winter auf dem Gehsteig am Nordbad macht, wenn Menschen an einem nebligen Sonntagvormittag vorübergehen. Seine Schilderung hatte Witz, Poesie und leise Melancholie: wissend-wehmütiges Nicken im Publikum.

Jetzt stellt sich Biller (einmal mehr) als Sänger vor und knüpft in gewisser Weise an jene Anekdoten aus dem Schumann’s an. „Studio“ heißt sein Album. Es ist berührend, traurig, lustig – eine wunderschöne Überraschung dieses Musikjahres. Vor 20 Jahren hat der Autor, den einst seine Kolumne „100 Zeilen Hass“ beim legendären Magazin „Tempo“ (1986-1996) berühmt-berüchtigt machte, schon einmal Musik herausgebracht. „Tapes“ war eine ungeschliffene Mischung aus Textschnipseln, Gedichten, Songs, aufgenommen zu Hause im Wohnzimmer. Das sei ein „Statement“ gewesen, erinnert sich Biller – und das gelte nun ebenso für die neue Produktion: „Wir machen es einmal richtig. Das heißt, wir sind im Studio.“

Der Weg dorthin hat sich sehr gelohnt. Zwölf Lieder hat er komponiert und getextet. Malakoff Kowalski, Multiinstrumentalist und Komponist, der in München vor allem durch seine herrlichen Kollaborationen mit Filmemacher Klaus Lemke (1940-2022) bekannt ist, hat ihn beim Arrangement der Stücke unterstützt: Behutsam, minimalistisch und doch pointiert sind sie inszeniert. Mal genügen den beiden Gitarre oder Klavier als Begleitung, mal wird’s etwas aufwendiger. Ein stets lässiger Sound entsteht so, der seine Wucht erst bei genauem Hinhören und im Zusammenspiel mit Billers Texten entfaltet. Denn dieses „Studio“ mag zwar luftig-leicht und unterhaltsam wirken, doch hat der Autor, der an diesem Sonntag seinen 64. Geburtstag feiert, Fallstricke ausgelegt und Widerhaken verschraubt.

„Kriegsreporterin“ etwa ist eine Hommage an seine Freundin, die seit mehr als zwei Jahren aus der von Russland überfallenen Ukraine berichtet. In „6 Uhr 30“, dem Zeitpunkt der Hamas-Attacke auf Israel am 7. Oktober 2023, schildert er die Stimmung in der jüdischen Gemeinschaft seit dem Massaker: „Will ich lachen/ weine ich Tränen aus Stein“. Um einen übergriffigen Politiker geht es in „Herr Minister“, und „Revolution von oben“ ist eine Abrechnung mit Putin. „Klassisches Protestlied“ nennt Biller den Song. Nicht nur hier grüßt in Stil und Haltung der russische Dichter und Sänger Wladimir Wyssozki (1938-1980) aus der Ferne.

Die Strophen sind – wen wundert’s? – von großer Prägnanz und Eleganz. Wie in seinen Romanen und Kurzgeschichten folgt Biller als Songtexter seiner Liebe zum „floskellosen Deutsch“. Das lässt gerade seine Abrechnung mit dem „Berlin Girl“ oder die Rauschmittelnummer „Das Leben in den Farben von Tavor“ (sic!) noch feiner schillern.

Gesanglich gibt Biller den Chansonnier von Berlin. Ein bisschen Cohen, ein bisschen Gainsbourg, ein bisschen Conte: Auch er ist ein Erzähler, der sein Publikum sanft hineinzieht in Alltagsgeschichten, Beobachtungen, Gedankengänge. Man folgt gerne, denn wo sonst als im „Studio“ trifft man ein Krokodil, das „Trotzki auf Sanskrit“ liest? Und wohl nur hier tanzt ein Mann ohne Beine und ohne Kopf „trotzdem Cha-Cha-Cha“.

„Hey, wo ist hier der Ausgang und ein Stück Normalität?“, singt Maxim Biller in „Kleine Horrorshow“ obendrein. Ganz ehrlich? Wir haben es nicht eilig, ihn zu finden. Wirklich nicht.
MICHAEL SCHLEICHER

Maxim Biller:

„Studio“ (Greedy for Best Music).

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