PREMIERE

Schmerz aus Gold

von Redaktion

Christoph Graupners „Dido“ bei den Innsbrucker Festwochen

Elefantöser Effekt: Dido (Robin Johannsen) reitet zum Fest – und muss erkennen, dass Aeneas sie Richtung Italien verlassen hat. © Birgit Gufler

Ein Lamento, schlicht und tränentreibend, hätten die Hamburger damals nicht goutiert. Etwa ein Opernfinale („When I am laid in Earth“), wie es einst Purcell seiner Dido in die Kehle schrieb. Schon eher ein Fanal mit Scheiterhaufen und Fernchören, das Berlioz auf die Bühne stemmte, aber der kam mit „Les Troyens“ 150 Jahre später. Christoph Graupner wusste, was das Publikum an der einstigen Gänsemarkt-Oper brauchte. Eine heißlaufende Bühnentechnik, spektakuläre Effekte mit Göttern, die in die Handlung eingreifen, wirkungsvolles Arien-Futter und trotz königlichem Suizid ein Happy End. Und weil es so schön ist, platzt die Ouvertüre gleich mit Donnergrollen los. Auf dass die Pfeffersäcke in den Logen erschrocken ihr Schwätzen einstellen.

1756 kam „Dido, Königin von Carthago“ am Vorläufertheater der Hamburgischen Staatsoper heraus. Graupners Opern-Erstling ist ein Sprachzwitter, gesungen wird (damals durchaus üblich) auf Deutsch und Italienisch. Kurz danach fiel der Dreiakter durchs Raster. 2010 gab es eine konzertante Aufführung in Berlin. In diesem Jahr riskierte der Alte-Musik-Maestro Andrea Marcon eine Wiederbelebung. Mit konzertanten Abenden in Basel und Amsterdam nahm er Anlauf für die szenische Premiere bei den Innsbrucker Festwochen.

Nach Giacomellis „Cesare“ und Händels „Arianna“ (wir berichteten) ist dies Entdeckung Nummer drei im dortigen Festival-Sommer. Die sagenhafte Geschichte ist bekannt: Dido verliebt sich in den trojanischen Helden Aeneas, der allerdings lieber auf Götterwunsch Richtung Italien segelt und den Freitod der Königin provoziert. Angereichert wird dies bei Graupner mit Neben-Lovestorys, einem Beinahe-Menschenopfer nebst Götter-Auftritten; das Jubel-Finale, in dem Didos Schwester Anna gekrönt wird, erscheint angeklebt.

Zu hören gibt es drei Akte lang Nummern mit hohen Umdrehungszahlen, reichlich Koloraturensprints, kräftigen Farbaufträgen und nur gelegentlicher Melancholie. Graupner bricht Strukturen auf, schreibt zum Beispiel ein Dido-Lamento, das sich zwischen Rezitativ und Arioso nicht recht entscheiden mag. Eine andere Solo-Szene wird mit korrespondierender Geige und Oboe zum Terzett erweitert. Als Dido wütend zum Krieg aufruft, erinnert der Arien-Furor an ein Parallelstück aus Händels 40 Jahre älterem „Rinaldo“. Und zwei Ensembles erlebt man, vor allem ein Sextett, in dem sich die Einzelstimmen auf eigenwillige, harmonisch avancierte Art verschränken, ablösen, umspielen: Diese „Dido“ ist nicht nur Hitparade, sondern auch (maßvolles) Experiment.

Andrea Marcon spielt das mit seinem Barockorchester La Cetra aus. Das Ensemble ist exzellent besetzt, legt sich lustvoll in die Partitur-Kurven und scheint sich gegenseitig immer wieder anzustacheln. Natürlich ist das alles historisch informiert und agogisch genau durchdacht. Entscheidend sind aber Eleganz, Temperament und das Musikantische dieser kurzweiligen drei Stunden. Und so ganz nebenbei sticht Marcon damit den neuen Festwochen-Chef Ottavio Dantone aus, der bei Giacomellis „Cesare“ gezügelter vorging.

Eine ausgefeilte Regie für nur zwei Aufführungen war naturgemäß nicht drin. Regisseurin Deda Christina Colonna lässt Sängerinnen und Sänger teils in Posen des Barocktheaters agieren. Darunter mischt sich auch stereotype Gestik, das Personal darf weitgehend ungestört die Arien-Arbeit verrichten. Ausstatter Domenico Franchi gibt den Goldjungen, sein stilisiertes Karthago mit verschiebbaren Elementen ist in den Glanz des Edelmetalls getaucht. Juno und Mercurius werden aus dem Schnürboden herabgelassen, um die Menschen zu ermahnen. Und zur (bald platzenden) Feier am Strand von Karthago wird Dido auf einem Gold-Elefanten hereingefahren: angesichts der sonstigen szenischen Reduktion ein Coup de Théâtre.

Vertrackte Arien, achtbare Besetzung

Dass Graupner über höchstkarätiges Gesangspersonal verfügt haben muss, hört man. Die Arien sind vertrackt, die Innsbrucker Besetzung schlägt sich (hoch-)achtbar. Robin Johannsen wirft sich mit gelenkigem Silbersopran und fast als Einzige textklar in die Titelpartie, ist aber eine Spur zu klein besetzt. Jone Martinez gestaltet ihre Doppelrolle (Juno plus ägyptische Prinzessin Menalippe) mit kraftvoller Lyrik und sticht Dido fast aus. Aeneas ist bei Tenor Jacob Lawrence ein später Halbwüchsiger, der sich in den feinen Gesangslinien wohler fühlt als in der Dramatik. Andreas Wolf gebietet als in Karthagos Regentin verliebter Hiarbas über einen virilen, musterhaft durchgebildeten Bassbariton – Dido hätte sich besser mit diesem Numidien-König begnügt.

Heftiger, dankbarer Jubel. Graupners „Dido“, das zeigt die Innsbrucker Tat, eignet sich durchaus zum Nachspielen. Gut, der Glanz des früheren Leiters, Barock-Star René Jacobs, ist weg, die Zeiten sind anders, das Budget ist zusammengeschnurrt. Und doch setzen die Festwochen ihre Politik fort: Auch im Jahr eins von Chef Ottavio Dantone sind dort Schatzgräber am Werk. Jetzt müssen andere die Arbeit dieser Pioniere aufgreifen.

Weitere Aufführung

am heutigen Dienstag; Infos zu den weiteren FestwochenTerminen und zum Vorverkauf unter www.altemusik.at.

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