Spirituelles ohne Weihrauch

von Redaktion

Die Berliner Philharmoniker mit Kirill Petrenko bei den Salzburger Festspielen

Jubelstürme ernteten Kirill Petrenko und seine Berliner Philharmoniker im Großen Festspielhaus. © Marco Borrelli

Beinamen für Symphonien haben in der Musikgeschichte eine lange Tradition, können aber auch zu Missverständnissen oder falschen Erwartungshaltungen führen. Vor allem dann, wenn diese Bezeichnung eben nicht vom Schöpfer selbst stammt. Anton Bruckners Fünfte ist nach seinem Tod unter diversen Titeln bekannt geworden. Als „Choralsymphonie“, „Die Katholische“ oder als „Glaubenssymphonie“. Dies ist auch Kirill Petrenko offensichtlich bewusst, der bei den Salzburger Festspielen mit den Berliner Philharmonikern seine Lesart der mehrfach umgearbeiteten Partitur vorstellte.

Und wie nicht anders von ihm zu erwarten, steckt auch in dieser Interpretation wieder viel akribische Vorbereitungsarbeit, die wirklich in jedem Takt zu spüren ist. Petrenko lässt sich keineswegs nur von eingefahrenen Traditionen leiten und findet einen Weg, dessen Ausgangspunkt sich bei Bruckner selbst findet, der bei seinem Opus von einer „phantastischen Symphonie“ sprach. Die hohe Spiritualität des Komponisten ist auch hier in jeder Note zu spüren. Doch versinkt die Fünfte bei Petrenko nicht im diffusen Weihrauch-Nebel, sondern atmet von der ersten bis zur letzten Note eine große Klarheit, die die Schönheit der Partitur subtil hervortreten lässt. Stets kontrolliert und selbst bei den großen Klangentladungen, wenn es die Berliner im Großen Festspielhaus so richtig kesseln lassen, mit ruhiger Hand durchgezogen.

Diese effektvollen Höhepunkte wirken hier umso mehr, weil Petrenko eben auch das andere Ende des dynamischen Spektrums immer wieder feinsinnig ausreizt. Dies zeigt sich schon in der mit zartem, aber dennoch tragfähigen Pianissimo angegangenen Einleitung, bei der die Streicher sich von ihrer besten Seite präsentieren. Sie legen ein solides Fundament für die Holzbläser, deren große Stunde wiederum im Adagio schlägt, wo Petrenko die solistischen Einwürfe klar herausarbeitet und trotz seiner Detailverliebtheit die Musik gut im Fluss hält.

Das gegenseitige Vertrauen, das er mit den Berlinern mittlerweile aufgebaut hat, zeigt sich besonders im Scherzo. Wenn selbst der Kontrollfanatiker Petrenko sich für einen kleinen Moment entspannt zurücklehnt, selig lächelnd lauscht und unmittelbar darauf den nächsten Einsatz mit einem lässigen Schulterzucken gibt. Dem volkstümlichen Element begegnet er dennoch mit einer gesunden Skepsis. Quasi ein Ländler mitSpitzenschuh, kunstreich stilisiert und in vollendeter Eleganz dargeboten.

All dies steuert konsequent auf das im Finalsatz verortete Herzstück der Symphonie zu, wo Petrenko die thematischen Bezüge zu den vorangegangenen Abschnitten noch einmal kontrastreich Revue passieren lässt. Die sich hieraus entwickelnde Doppelfuge präsentiert sich mit einer Eindringlichkeit, die auf der Zielgeraden plötzlich doch wieder Assoziationen an die anfangs erwähnten Untertitel heraufbeschwört. Nicht zuletzt dank der herausragenden Leistung der Blechbläser-Fraktion, die sich bei aller Wucht ihren runden, homogenen Klang bewahrt. Eine strahlende Apotheose, die ihre Fortsetzung beinahe nahtlos in den Jubelstürmen findet, die das Publikum Kirill Petrenko und seinen Berlinern bereitet.
TOBIAS HELL

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