SALZBURGER FESTSPIELE

Sagenhaftes auf dem Silbertablett

von Redaktion

Petrenkos zweites Konzert mit den Berliner Philharmonikern

Emotional erst gegen Ende: Kirill Petrenko mit seinem Orchester im Großen Festspielhaus. © Marco Borrelli

Als Richard Strauss seinen „Rosenkavalier“ zur Uraufführung brachte, gab es Sonderzüge von Berlin nach Dresden. Ein Service, von dem man beim aktuellen Zustand des Schienennetzes zwar nur träumen kann, doch lohnen würde es sich zur Festivalzeit zwischen München und Salzburg durchaus – angesichts der vielen vertrauten Gesichter, die einem immer wieder begegnen, wenn Kirill Petrenko im Großen Festspielhaus ans Pult der Berliner Philharmoniker tritt. Und auch diesmal waren wieder zahlreiche Fans aus seinen Zeiten als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper an die Salzach gepilgert, um die Entzugserscheinungen zu mildern.

Nachdem am ersten der zwei Abende eine exemplarische Wiedergabe von Bruckners Fünfter zu erleben war, stand nun noch Bedrich Smetanas „Má vlast“ auf dem Programm. Jener Zyklus von symphonischen Dichtungen, mit denen der Komponist seinem böhmischen Vaterland ein klingendes Denkmal setzte. Den Naturschönheiten ebenso wie der Geschichte und der Sagenwelt. Da entführen einen gleich zu Beginn zwei sanft angeschlagene Harfen in die Zeit der Minnesänger. Genauer gesagt auf die Königsburg „Vyšehrad“, wo Petrenko bereits das erste Hauptthema quasi auf dem Silbertablett serviert. Und auch im weiteren Verlauf bleibt seine Lesart eine sehr analytische, die immer wieder Feinheiten in der Instrumentation herauskitzelt und jeden Anflug von Routine im Keim erstickt.

Die zweifellos bekannteste der Tondichtungen ist natürlich „Die Moldau“, die hier weder als Aufwärmstück noch als kulinarische Zugabe daherkommt. Aus dem Kontext gedacht, knüpft Petrenko nahtlos an die vorangegangene mittelalterliche Episode an. Wobei er sich und sein Orchester keineswegs nur treiben lässt, sondern eine Bootsfahrt inszeniert, auf der es bei Hochwasser teilweise stürmisch flussabwärts geht – dabei das Ruder stets fest in der Hand. Ebenso streng und kompromisslos zieht er nach einer kurzen, wohlgesetzten Atempause mit der mythischen Königin „Sarka“ in die Schlacht. Ein kontrastreicher Kampf der Geschlechter und der musikalischen Temperamente. Untermalt vom martialischen Säbelrasseln der Blechbläser, das auch auf „Böhmens Hain und Flur“ noch eine ganze Weile weiterwirkt, ehe die anfangs aufziehenden dunklen Wolken langsam vertrieben werden und das Tempo wieder deutlich anzieht.

Wie schon die ersten beiden Abschnitte, lässt Petrenko auch das Finale mit „Tábor“ und „Blaník“ ohne große Umschweife fließend ineinander übergehen. Und hier scheinen sich dann doch Pathos und Patriotismus ihren Weg zu bahnen, die Smetanas Tondichtungen eben auch ausmachen. Womit man nicht mehr nur über die Kunstfertigkeit der Berliner Philharmoniker staunt, sondern auf einmal auch emotional mitgenommen wird. So faszinierend es ist, wie der Dirigent die Partitur genauestens durchleuchtet und selbst den oft gehörten Stücken neue Nuancen abtrotzt: Hin und wieder dürfte Petrenko die Musik auch gerne mal laufen lassen und seinem Orchester ein wenig mehr Freiraum gönnen. Wobei dies nun wirklich ein Jammern auf extrem hohem Niveau ist.
TOBIAS HELL

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