NEUERSCHEINUNG

Das große Fressen

von Redaktion

Alexander Schimmelbuschs futuristische Gesellschaftssatire „Karma“

Alexander Schimmelbusch geißelt ein Konsumverhalten, das auch tödliche Folgen haben kann. © Alberto Novelli

Wer Spirituelles bei „Karma“ zu hoffen findet, wird von Alexander Schimmelbuschs neuem Roman enttäuscht sein. Der ist eher etwas für Zynikerinnen und Feinschmecker, Fatalistinnen und all jene, die sich das zum Grandiosen aufgeblasene Geschwafel (nach dem Motto: Das ist unsere Philosophie) von Firmen, Gourmet-Köchen und Edel-Sommelièren draufschaffen wollen. Kein Wunder, dass das Karma im Buch lediglich als bernsteinfarbener Wein auftaucht, immerhin der Rheinwein von 1811, dem Goethe gern zusprach.

Schimmelbusch (Jahrgang 1975), dem 2018 mit „Hochdeutschland“ ein Bestseller glückte, versucht sich nun an einer leicht futuristischen Gesellschaftssatire. Die macht erst viel Spaß, bis sie auf der Langstrecke dann doch unter der Geschwurbel-Last ächzt.

Der Autor legt es auf die Erkenntnis an, dass aus den Gourmets längst Gourmands, also Fresser und Säufer, geworden sind. Sie tarnen ihre Verschwendungssucht, ihren enthemmten Verbrauch, ihr Verschleudern von Ressourcen mit schönen und ach so moralisch reflektierten Wortgirlanden. Die freilich behindern in ihrer irgendwann ermüdenden Masse unseren Blick in den Spiegel. Der zeigt, obwohl die karge Handlung und deren wenige Figuren im Brandenburg des Jahres 2033 verortet sind, dass die vorherrschende Lebensweise auf unserem Globus tödlicher Konsum ist.

Damit der Untergang nicht so sehr auffällt und gewinnbringend ausgebeutet wird, gibt es Tech-Unternehmen. Die deutsche Omen SE ist übermächtig und bietet dabei für jedes Bedürfnis eine Plattform an. „Kaffeehaus“ hilft den abgehängten Mittelständlern in den Vereinigten Staaten, sich mit einem Bohème-Gefühl zu trösten; auf „Intelligenzija“ findet die kluge Frau einen entsprechenden Partner – wer braucht denn schon Liebe? Und die KI von „Veritas“ erstellt jedem ein exakt auf die Persönlichkeit abgestimmtes Weinangebot.

Der größte Erfolg aber ist „Erda“. Bei dieser digitalen Urmutter fühlen sich die Jugendlichen der Welt aufgehoben, auch wenn viele von ihnen dabei auf einer Müllhalde verrecken. Politik existiert in dieser Romanwelt nicht. Nichts ändert sich (außer dem Klima), keiner möchte etwas ändern, denn alle sind von Omen und der datensatten KI sediert. Der Schriftsteller lässt im Verlauf seiner Erzählung vom Illusionmonster Omen und seiner Schöpferinnen und Schöpfer ab und an Peitschenhiebe austeilen: ob wegen grausiger Umweltvernichtung, ob wegen hämischer Menschenverachtung, ob wegen deutscher Lahmheit bei der Aburteilung der NSVerbrechen. Mehr von diesen Schlägen hätten „Karma“ gutgetan. Schimmelbusch führt seinerseits die paar OmenVerantwortlichen, die er zuvor gewitzt, hinterhältig und wortgewaltig charakterisiert hat, einer Strafe zu.

Als Edel-Rentner wissen die Egozentriker nichts mit sich anzufangen und mit anderen schon gar nicht. Ihre Leere schütten sie mit sentimentalen Gedanken an einst und vor allem mit Spirituosen und Nahrungsmitteln zu. Man fühlt sich an den Film „Das große Fressen“ (1973) erinnert, in dem die Völlerei (eine der sieben Todsünden) letztlich zum Tod führt. Kurz vor seinem Ende nach einem Sauf- und Fressgelage bekennt Joachim, der Hauptideengeber des Internetriesen Omen: „Wenn ich an das Internet denke, spüre ich meine Seele mit Erbrochenem volllaufen…“
SIMONE DATTENBERGER

Alexander Schimmelbusch:

„Karma“. Rowohlt Verlag,
Hamburg, 297 Seiten; 24 Euro.

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