INTERVIEW

„Du bist anders? Komm her, das ist geil“

von Redaktion

Jens Poenitsch schreibt über den Sound, der die Stars nach München lockte

Disco-Vision: Sängerin Donna Summer und Produzent Giorgio Moroder revolutionierten die Popmusik von München aus.

Jens Poenitsch heute und als Gitarrist neben Falco in der Film-Klamotte „Geld oder Leber“ von 1986. © privat

Gefragter Mann an den Reglern: Reinhold Mack (li.) mit Jeff Lynne vom Electric Sound Orchestra in den Musicland-Studios. © Getty

Munich people don’t give a Shit: Die Band Queen mit (v.li.) John Deacon, Freddie Mercury, Brian May und Roger Taylor 1984 vor dem Haus der Kunst in München. © Fryderyk Gabowicz /dpa / picture Alliance

Jens Poenitsch war ein junger Musiker, als er selbst das erlebte, worüber er heute schreibt – den „Sound of Munich“. Wenn er nicht modelte oder Falcos Band als Gitarrist verstärkte, betrieb er in den frühen Achtzigern seine Projekte Zero Zero und Don Juan – und geriet so in den Dunstkreis der großen Produzenten Giorgio Moroder und Reinhold Mack in den Musicland-Studios, wo nebenan das Electric Light Orchestra und Queen aufnahmen. Sein Buch „Munich sounds better with you“ ist denn auch gespickt mit eigenen Erinnerungen – doch lässt Poenitsch auch viele Gäste zu Wort kommen, mittels QR-Codes kann man zahlreiche Songs parallel anhören. So entsteht ein Kaleidoskop von den Fünfzigern bis heute, das den „Sound of Munich“ in seiner Vielfalt einfängt.

Herr Poenitsch, was war da los 1984 mit Ihnen und Brian May von Queen?

(Lacht auf.) Gleich am Anfang legt er den Finger in die Wunde! Nein, ehrlich gesagt war das eine ganz bezaubernde Situation. Ich war jung, ungestüm, Anfang 20. Unter der Ägide von Queen-Produzent Reinhold Mack nahm ich damals in den Musicland-Studios mein Album auf – Tür an Tür mit Queen. Innerlich hat mich das natürlich eingeschüchtert, aber ich habe das überspielt mit jugendlicher Arroganz.

Mochten Sie die Band denn nicht?

Im Gegenteil. Ich war absoluter Queen-Fan in den Siebzigern, und in den Achtzigern immer noch beeindruckt, dass diese alten Herren sich so entspannt mit der neuen Musik auseinandersetzten. Aber es ging ja um mich, ich hatte diese Riesenchance als Disco-Künstler unter dem Pseudonym Don Juan, und ich wollte mich natürlich abgrenzen.

Also haben Sie May eine Abfuhr erteilt, als er Ihnen anbot, auf ihren Songs Gitarre zu spielen?

Interessanterweise war Freddie Mercury damals der Erste, der auf mich zuging. Ich war erst mal überrascht, wie nett und zugänglich die waren. Freddie hat sich für meine Musik interessiert und gab gleich Tipps. Nicht wie ein alter Opa, der Ratschläge erteilt, ich fühlte mich ernst genommen. Und dann hörte Brian May rein und fragte, ob ich Verwendung für seine Gitarre hätte. Ich sagte: Ich finde euch total geil, aber ich würde das gerne alles alleine einspielen.

Oh nein!

Das war eine Sache von drei Sekunden, und er war auch überhaupt nicht sauer. Freddie machte gleich einen Witz draus: „Siehste, er findet dich auch scheiße!“ Nein, sie waren mir nicht gram. Aber ich war damals einfach vernarrt in die Kunst von Prince, der so viel wie möglich selbst einspielte. Aus heutiger Sicht muss ich zugeben: Das war nicht besonders klug. Zumindest auf einem Song hätte ich ihn spielen lassen können.

Damals hatte eben alles neu zu klingen – bei der heute herrschenden Retromanie kaum vorstellbar.

Absolut. Ich hatte das Gefühl, dass mich zu viel Einfluss von den alten Herren bremsen würde. Ich würde es noch mal so machen.

Sie waren damals definitiv ein „Sound of Munich“. Aber wie klingt der denn nun, dieser Sound?

Falls es den gibt und heute noch Relevanz hat, ist das für mich diese Spätsiebziger-/Frühachtziger-Mischung aus Elektronik, Disco und Rock. Die Songstrukturen waren schon Mainstream, aber auch minimalistischer als die gängigen Popsongs zu der Zeit. Über Nacht verschwammen die Grenzen zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Deutschland und Amerika. Zwischen New Wave und Disko. Munich Sound konnte nur entstehen, weil die Leute neugierig aufeinander waren.

Wie sah diese Neugier aus?

Donna Summer, eine Afroamerikanerin, die in München im Musical „Hair“ singt, wird von Giorgio Moroder, einem Südtiroler, entdeckt, der vom Schlager wegwill. Gemeinsam entwerfen sie Disco in seiner minimalen Form, der House quasi vorwegnimmt. Oder Freddie Mercury, ein parsischer Brite, der auf der Steuerflucht mit seiner Band in München andockt und hier den Minimalismus des Eighties-Pop entdeckt. All das ist in einem bestimmten Geist dieser Stadt entstanden.

Und dieser Geist konnte sich besonders gut in der Münchner Kneipenkultur entwickeln, wie Sie schreiben?

Genau. Es gab schon eine gewisse Durchlässigkeit bei den Hippies, aber damals sind zum Beispiel schwarze GIs noch in ihre eigenen Clubs gegangen. Erst die Achtziger haben das nivelliert und Clubs wie das Tanzlokal Größenwahn. Wo Ethnien, Klasse oder sexuelle Orientierung nicht mehr wichtig waren – höchstens als Neugierde-Faktor. Du bist anders? Komm her, das ist geil. Genau deshalb hat Freddie Mercury es ja auch so genossen, hier zu arbeiten. Er sagte zu mir: „Jens, Munich people don’t give a Shit. Die erkennen einen zwar, tun aber so, als wäre es nicht so. Weil sie sich selbst viel cooler finden.“ Das hat ihm gefallen.

In den Neunzigern spielte München auch in der Explosion von Techno eine große Rolle.

Genau – nur viel glamouröser und glitzernder als der Rest der Republik. Da waren Vocals und sexy Sängerinnen dabei. Labels wie Gigolo, Gomma oder Compost: Das war nicht nihilistischer Berlin-Hunger, das war Münchner Opulenz und Sexyness. Ein bisschen mit Mittelfinger – aber der Mittelfinger hatte einen schönen Schmuck dran.

Sie schreiben, dass man die Münchner deswegen im Rest der Republik schräg angeschaut hat.

Weil wir die schönen Frauen hatten, die Berge und die Wiesn, das wurde misstrauisch beäugt. Im Nachhinein hat sich das durchgesetzt. Der Münchner Minderwertigkeitskomplex gegenüber anderen Pop-Städten ist verschwunden.

Früher gab es allerdings auch mehr Freiräume in der Stadt, wo sich junge Menschen treffen konnten.

Stimmt, der Minderwertigkeitskomplex ist weg, aber die Möglichkeiten sind es auch. Ich glaube aber, das ist kein spezifisch Münchnerisches Problem. Es gibt weniger Clubs und andere Treffs. Politische Themen und Umwelt sind der Jugend auch wichtiger als Pop.

Das Buch ist sehr persönlich. Sie beschreiben viel aus Ihrer Perspektive – aber lassen auch andere Menschen zu Wort kommen, die dabei waren. Vom Magazin-Macher bis zur Barfrau.

Ich will so viele Leute wie möglich ansprechen. Darum gibt es auch so viele Perspektiven. Ich habe nur wie ein Türsteher bestimmt, wer rein darf und wer nicht. Ich bin begeistert von der Freundschaft, die mir da entgegenschlug. Es sollte nicht nur eine Glitzer-Biografie für die Prominenten sein. Welche Anekdote hat Ihnen am besten gefallen?

Die von Andrea Fisser, die als frühere Bardame im Club Sugar Shack erzählt, wie sie David Bowie nach Hause geschickt hat, weil er eine lebende Perserkatze um den Hals trug. Oder dass sich Duran Duran so geprügelt haben, dass ihre Tour verschoben werden musste. Irgendwie haben sich alle aufgeführt wie der Rotz am Ärmel.

Ja! (Lacht.) Alle waren dicht, alle waren sexy, alle waren reich. Und den eingepennten Bruce Springsteen haben sie bei Ladenschluss sanft in der Einfahrt vor dem Lokal „entsorgt“. Damals konnte man einen betrunkenen Superstar noch neben der Mülltonne ablegen, ohne dass man eine Millionenklage kassiert.

Jens Poenitsch:

„Munich sounds better with you“, Hirschkäfer-Verlag, 208 Seiten, 19,90 Euro.

Artikel 4 von 11