Ein Bauer auf dem Schachbrett

von Redaktion

Christian Hallers Roman „Das Institut“ erzählt von Wirtschaft und Intrigen

Umsichtig: Autor Christian Haller. © Nik Hunger / Penguin

Was tut man, wenn man mit dem Studium fertig ist und keine Lust verspürt, in dieser Richtung weiterzuarbeiten? Bei Thyl Osterholz ist es die Biologie, die ihm nicht die erhofften Handreichungen fürs reale Leben vermittelte. Für ihn, den seine Schulkameraden wegen seines Immer-am-Rand-Bleibens „Berg“ genannt hatten, ist der unwichtige Job in dem angesehenen, mäzenatisch unterfütterten Institut also genau das Richtige. Der Titel von Christian Hallers (Jahrgang 1943) neuem Roman ist denn auch „Das Institut“.

Der Schweizer Autor entführt uns in die Zeit zwischen 1975 und 1981. Die Übergangstätigkeit des Ich-Erzählers stellt sich heraus als lange, abenteuerliche Lehrzeit in heute noch relevanten Wirtschaftsthemen, verknüpft mit Ökologie, Machtkämpfen, Manipulationen, Seilschaften, Hierarchien, Intrigen. Mit den Worten „Wir haben zwar keine Arbeit für Sie, aber Sie fangen am nächsten Montag an“ beginnt Thyls Laufbahn. Sie endet damit, dass er endlich den Satz richtig einordnen kann: Der junge Mann war von Anfang an ein Bauer auf einem Schachbrett. Die Ego-Protze um ihn sahen sich als Spieler, waren im Grunde ebenfalls nur Figürchen.

Das „Institut für Soziales“ ist das Vermächtnis eines mittlerweile verstorbenen Selfmade-Konzernschöpfers, der etwas gesellschaftspolitisch Wichtiges hinterlassen wollte. Institutschef ist sein ehemaliger Sekretär Lavertz. Als Osterholz beim Institut in der „Abteilung für internationale Kongresse“ landet, steht ein Machtwechsel an der Konzernspitze bevor. Lavertz wittert Gefahr und macht seine ersten Spielzüge. Dazu gehört, dass Thyls Karriere rasant startet, das heißt, er darf selbst Themen setzen und Tagungen durchführen (oder auch nicht). Und schon kann der Chef einen verdienten Mitarbeiter hinauskicken.

In solch einem Umfeld bringt Christian Haller bequem Existenzielles wie „Grenzen des Wachstums“ (Club of Rome), Billig-Nahrung/Pharmaindustrie/Gesundheitswesen, „Ende des Ölzeitalters“, Atomindustrie, „Konsum als Zerstörung“, „Umwelt/Klima/Ozonloch“ unter. Wir Heutige entdecken mit Schrecken, dass die Bedrohung bereits vor vielen Jahrzehnten erkannt worden war – ohne durchgreifende Konsequenzen. Wir lernen darüber hinaus, wie man all das Kontroverse vernebelt und totredet. Dafür steht, ohne es explizit zu nennen, symbolisch das Weltwirtschaftsforum in Davos.

Der Schriftsteller legt diesen Streifen Geschichtsschreibung zwischen die umsichtig kombinierten Schichten seines Romans. Thyls Biografie, insbesondere seine Kindheit, sein widerstrebendes Suchen und Verstehen, seine Freund- und Liebschaften tragen das uneitel geschriebene Buch. Den einzelnen Persönlichkeiten lässt Christian Haller Gerechtigkeit widerfahren, und seien es wenige wohlgesetzte Charakteristika für eine Nebenfigur. Er zeigt dabei auch, dass Frauen damals (wie heute) abgedrängt und gewohnheitsmäßig sexuell bedrängt wurden.

Durch die Menschennähe des Buchs versauern weder Thyl noch die Lesenden im Institutsdasein, sondern genießen am Ende das vielfältige Leben – mit ungewohnter Kunst und tiefer Liebe.
SIMONE DATTENBERGER

Christian Haller:

„Das Institut“. Luchterhand Literaturverlag, München,
269 Seiten; 22 Euro.

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