Hier geht’s lang: Susanna und Johannes Rieder mit Kater Kasimir, dem niedlichen Maskottchen ihres Buchladens. © Jens Hartmann
Laden jeden dazu ein, in andere Welten abzutauchen: die Geschwister Susanna und Johannes Rieder. © Jens Hartmann
Natürlich kann man seine Bücher auch bei Amazon bestellen. Die kommen dann dick verpackt, im Transporter angekarrt von einem unterbezahlten Lieferanten des Onlineriesen. Oder man tut der Umwelt und sich selbst was Gutes und schaut regelmäßig in einer analogen Buchhandlung vorbei. Mit Zeit und Muße und der Erlaubnis vom sonst immer so ungeduldigen Über-Ich, sich völlig in den Regalreihen zu verlieren: hinter jedem Buchdeckel eine ganze Welt. Eine Einladung, die eigene, die ja nicht immer nur eitel Sonnenschein ist, zu verlassen. Ein paar Stunden Weltflucht. Lesen – Wohltat.
Und weil das so schön ist und weil wir von Schönem gerade wirklich nicht genug bekommen können, freut man sich so sehr, wenn man Susanna und Johannes Rieder besucht. Die beiden Geschwister haben es allen Die-Buchbranche-geht-den-Bach-herunter-Rufen zum Trotz gewagt, einen weiteren Kraftplatz für Lesefreunde zu schaffen. Heute eröffnet ihr Geschäft Prinz Eugen Buch. Mitten im selbst noch recht neuen Stadtquartier Prinz Eugen Park im Münchner Nordosten. Der Laden in der Eugen-Jochum-Straße 3 liegt ein bisschen versteckt am Kinderspielplatz. Apfelbäume wachsen auf dem Weg dorthin, ein Café ist gegenüber. In den vergangenen Tagen haben sich die Buben und Mädels der Nachbarschaft schon die Nasen am Schaufenster plattgedrückt. „Daran merkt man, wie groß die Lust ist, zu stöbern“, freut sich Johannes Rieder.
Ansonsten gibt es nicht viel Kaufangebot im Prinz Eugen Park. Fahrradladen, Supermarkt, Drogerie, Apotheke. Doch erst mit dem Buchgeschäft scheint die Grundversorgung abgeschlossen. Medizin für die Seele per Click & Collect. „Unser Logistiksystem ist tatsächlich wie bei der Apotheke“, sagt Susanna Rieder. „Wir können jedes Buch täglich bestellen und die Ware gleich tags drauf für die Kunden ausgeben.“ In wiederverwendbaren Transportboxen werden die Bücher geliefert, unverpackt. „Umweltfreundlicher und schneller geht’s nicht.“
Wer sich mit den Geschwistern unterhält, merkt, dass es diese Nahversorgung möglichst vieler Menschen mit literarischen Lebensmitteln ist, die sie dazu bewogen hat, den Schritt zur Ladeneröffnung zu wagen. Sie kennen die Branche gut. 2008 gründete die Literaturwissenschaftlerin den Susanna Rieder Verlag, kurze Zeit später stieg ihr Bruder mit ein. Seither haben sie sich als unabhängiger Verlag etabliert. Und möchten nun in ihrem eigenen Laden auch die vielen anderen kleinen unabhängigen Verlage sichtbar machen. Jene oft nur Ein- oder Zwei-Mann-Betriebe, die kein üppiges Budget für Marketing haben und deren Programme deshalb in den großen Buchhandlungs-Ketten kaum zu sehen sind. Ein Grund dafür, dass etliche Perlen im Ozean der unfassbaren 80 000 Neuerscheinungen pro Jahr untergehen.
Auch solche der Kinder- und Jugendliteratur. „Lesen ist gerade für Kinder so wichtig“, betont Susanna Rieder. „Was man als Kind liest, prägt einen fürs ganze Leben.“ Und es sei eben etwas anderes, durch ein analoges Buch zu blättern, als es am Bildschirm zu konsumieren. „Ich bin nicht gegen online, es gibt supertolle Lern-Apps, aber gedruckte Bücher zu lesen, hat eine andere Qualität, auch eine andere Geschwindigkeit, mit der man sich mit den Dingen auseinandersetzt. Es ist ein anderes Vertiefen. Das möchten wir fördern.“
Geliebäugelt hatten sie mit der Idee einer eigenen Buchhandlung schon länger. Nun bot sich die Gelegenheit: Die Ladenfläche gehört der Genossenschaft, die Miete ist entsprechend günstig. Das Viertel ist kunterbunt, aus allen Ländern und sozialen Schichten kommen die Bewohner. Im Gemeinschaftsraum der Genossenschaft und dem gerade entstehenden Kulturbürgerhaus möchten sie Lesungen anbieten; möchten sich mit den Schulen, Kindergärten, Altenheimen ums Eck für Veranstaltungen zusammentun. Und, bei dieser Vorstellung startet das Kopfkino, den Jahreszeiten entsprechend schmücken. Wie in diesen wunderbar kitschigen Romanen von Buchhandlungen, die zu echten Begegnungsorten werden. Wo die Türglocke bimmelt – und alles draußen für ein paar Stunden Pause hat.
Damit jeder daran teilhaben kann, bieten sie viele internationale Titel. Und in Kürze auch die lesenswerten zweisprachigen Kinderbücher des Verlags bilibri. Denn es reicht ja nicht, sich Integration herbeizusehnen. Bilderbücher, in denen Kinder, deren Deutsch noch wackelig ist, eine Übersetzung in ihre Muttersprache finden, sorgen für ein echtes Ankommen.
„Jedes Buch, das hier steht, erweitert auch unseren eigenen Horizont“, freut sich Johannes Rieder. „Ich merke, wie ich mich selbst beim Bestücken der Regale in den Geschichten der Bücher verliere. Könnte es etwas Schöneres geben?“
KATJA KRAFT