Thomas E. Bauer, Bariton und Intendant, ist verantwortlich für die einzigartige Erfolgsgeschichte. © Marco Borggreve
Wie vom Himmel gefallen scheint der Betonwürfel des Architekten Peter Haimerl. © Naaro
Spannende Architektur, exzellente Akustik: Blick ins Blaibacher Konzerthaus, das 200 Personen Platz bietet. © Naaro
Dann kommt auch noch der Dirigent. Mit Käse-Körnersemmel in der Hand setzt sich Sigiswald Kuijken dazu an die Tafel. Dort, am massiven Holztisch, wo Thomas E. Bauer schon Besucherinnen und Besucher um sich versammelt hat. Es gibt Sekt, Süßgebäck, ein Stamperl Bärwurz (wer‘s mag) und Informationen zu „Così fan tutte“. Das ist hier normal im 500 Jahre alten Bauernhaus hinterm Konzertsaal. Alles informell, alles urgemütlich. Bauer, Bariton und Intendant, singt heute nicht, plaudert daher umso befreiter über Mozarts frivole Verwechslungsoper. Und wer den Intendanten siezt, ist selbst schuld.
Zum Geburtstag gibt‘s Haydns „Schöpfung“
Seit zehn Jahren geht das schon so. Damals, im September 2014, begann in einem Weiler 30 Kilometer nördlich von Deggendorf, was alle Welt bald als „Wunder von Blaibach“ bezeichnete. Ein Konzertsaal-Würfel, der sich mitten im Ort in den Boden gebohrt zu haben schien, 200 Plätze, eine spannende Beton-Architektur von Peter Haimerl als Kontrastmittel zum sonstigen Bauernhof-Charme, eine exzellente Akustik – und immer mehr Stars. Eröffnet wurde mit Haydns „Schöpfung“, das Oratorium steht auch am kommenden Wochenende zur Zehnjahresfeier auf dem Programm.
Dass sein Projekt Blaibach scheitert, hat Bauer nie geglaubt. Sagt der gebürtige Niederbayer. Aber wer den Berufsoptimisten kennt, der im Geldeintreiben bei Sponsoren und Politik sehr lästig werden kann, nimmt ihm das ab. „Wenn man so etwas anfängt, weiß man: Das ist keine kleine Sache, hier wird fast ein gesellschaftlicher Prozess in Gang gesetzt“, sagt Bauer. „Da kann man nicht sagen: In drei Jahren schauen wir mal weiter. Ich bekam aber bald das Gefühl, dass das hier etwas Langfristiges ist, gerade wegen der steigenden Zuhörerzahlen.“
Entscheidend war und ist die Mundpropaganda. Dass sich im Bayerischen Wald Außerordentliches tut, sprach sich schnell bis nach Übersee herum. Bauer wollte es allen zeigen: Kultur geht auch anders. Unkompliziert, mit einem schnellen Genehmigungsprozess, nur 1,6 Millionen Euro Baukosten, niederschwellig und trotzdem hochklassig. Jetzt sitzt der Bariton, der parallel zum Intendantenposten seine Gesangskarriere fortgesetzt hat, zufrieden und nicht nur ein bisschen stolz in „seinem“ Dorf. Vor allem aber ist er erleichtert: Vor einiger Zeit musste der 54-Jährige eine heftige Krebserkrankung überstehen. Das hat er geschafft und – typisch Bauer – parallel zur Therapie weitergesungen.
Bei rund 80 Prozent der Termine ist er selbst dabei, singend, meist jedoch „nur“ im Publikum. Vor allem wegen der Ansagen. Bauers Warm-up ist auch gefürchtet. Zunächst die Frage, wer zum ersten Mal da ist (vor „Così fan tutte“ gehen 50, 60 Hände hoch). Dann normalerweise, allerdings nicht an diesem Mozart-Abend: „Und sie? Haben sie Geld?“ Bauer pickt sich Menschen heraus, eine Sponsorensuche der anderen Art. „Geht scho“, komme oft als Antwort, berichtet Bauer. Manche reagieren amüsiert und spenden später tatsächlich. Und es gibt den Gin Tonic. Der ist in Blaibach das wichtigste Pausengetränk. Der Getränkehersteller ist Sponsor, der Drink wird als Spende verkauft. 2023 konnte Bauer über 38 000 Euro damit erwirtschaften. Eine Dame beschwerte sich, dass man zum Alkoholismus verführe. „Die habe ich dann angerufen und mich entschuldigt“, erzählt Bauer. „Da war sie ganz milde gestimmt und verriet, dass sie ja eine Stiftung habe.“ Bingo.
Sponsoren und staatliche Zuwendung braucht Bauer dringend, über den Kartenverkauf allein würden sich Konzerte im kleinen Saal nicht rechnen. Die Preise werden je nach Künstler und Nachfrage festgelegt. Wenn etwa Star-Pianist Sir András Schiff gastiert, ist das laut Bauer sofort ausverkauft – egal, ob das Ticket 80 oder 120 Euro kostet. Meist bewegen sich die Karten im Bereich zwischen 40 und 70 Euro. Bauer möchte sich im Doppelsinn nicht zu billig machen. „Anfangs dachte ich immer, ich will den Menschen ja etwas ermöglichen.“ Mit dem Niedrigschwelligen um jeden Preis habe er aber inzwischen abgeschlossen. „Weil mit Billigangeboten die Kulturszene auch ein Stück weit zerstört werden kann, die Künstlerinnen und Künstler sind schließlich auf die Gage angewiesen. Jetzt haben wir ein mittleres, noch immer akzeptables Preisniveau.“
Riesenbesetzungen sind in Bauers Konzerthaus nicht möglich. Die Kammermusik überwiegt, wobei man sich auch schon an Brocken wie Bachs Weihnachtsoratorium oder Beethovens Fünfte wagt, dann in reduzierter Besetzung. Mozarts „Così fan tutte“ hat Sigiswald Kuijken eingerichtet für Streichquintett, zwei Hörner und Cembalo. Das funktioniert sogar. Seine Tochter Marie Kuijken liefert ein szenisches Arrangement in bezaubernden historisierenden Kostümen. Das Publikum ist entzückt. Standing Ovations, für viele dürfte das die Erstbegegnung mit dem Stück gewesen sein.
Danach eilen Künstlerinnen und Künstler rüber ins alte Bauernhaus. Umziehen, erfrischen. Bauers Ehefrau und die beiden Söhne sind aus Berlin angereist und haben im ersten Stock ihr Wochenend-Quartier bezogen. Später geht‘s in vier Kilometer entfernte Bad Kötzting zum „Meet and Greet“, Zuhörende und Opernpersonal treffen in der Spielbank aufeinander. Der Spielbank-Chef ist Sponsor, was sonst.
Die Blaibacher Starparade ist beeindruckend. Sie reicht von Geiger Frank-Peter Zimmermann über Ex-Bariton und Neu-Jazzer Thomas Quasthoff bis zu Grigory Sokolov und Pierre-Laurent Aimard (Klavier) sowie Tenor Daniel Behle. Im Januar kommt es zum Äußersten. Plácido Domingo gibt sich die Ehre. „Ich hatte ein Abendessen mit ihm, da habe ich mir ein Herz gefasst und ihn gefragt“, sagt Bauer. Vor zehn Jahren sei er von den Blaibachern dauernd angegangen worden, wer denn überhaupt in diesem ominösen Konzerthaus auftreten solle. „Da habe ich mir gedacht, den einzigen Namen, den die meisten kennen, ist Domingo. Also sagte ich: zum Beispiel der.“ Die Reaktion: „Des glaubst doch selber ned.“
MARKUS THIEL