Ritterin der Tafelrunde: Szene aus Yael Bartanas Film „Two Minutes to Midnight“. © Yael Bartana
Mit Zensur und Protest befasst sich die Kubanische Künstlerin Tania Bruguera in ihrer Arbeit. © Tania Bruguera
Nun geht es für die InterimVilla-Stuck an der Goethestraße 54 in die zweite Ausstellungsrunde. Vier Monate sei man hier, acht Monate müsse man noch bleiben, sagt Museumschef Michael Buhrs bei der Pressevorbesichtigung zu „Tania Bruguera – The Condition of No“ (Kurator Roland Wenninger) und „Yael Bartana – Tow Minutes to Midnight“ (Kuratorin Helena Pereña) . „Aber jetzt müssen wir erst mal die Wiesn überstehen…“ Bei den ersten beiden Präsentationen, die im Frühling eröffnet wurden, standen Nachbarn wie die Anatomie und das eigene Haus samt seiner Geschichte im Mittelpunkt. Mit letzterer geriet das Team voll ins Feld der Politik: In der Nazi-Zeit war das Haus für jüdische Münchner eine Zwangs-Zwischenstation ins KZ. Kunst trat unausweichlich in den Hintergrund.
Mit den erschreckend aktuellen Arbeiten von Bruguera und Bartana kann die Villa Stuck indes Kunst und Politik verbinden. Überzeugend. Die Kubanerin (Jahrgang 1968), die in Deutschland in die Nachrichten kam, weil ihre 100-stündige Hannah-Arendt-Lesung in Berlin wegen massiver Störungen abgebrochen werden musste, diskutiert in ihrer Installation „Propaganda“, „Zensur“ und „Protest“. Die israelische Wahl-Berlinerin Bartana (Jahrgang 1970), ebenfalls Documenta-Teilnehmerin und heuer auf der Biennale in Venedig im deutschen Pavillon dabei, zeigt in ihrem 45-minütigen Film, wie Frauen Politik gestalten.
Tania Bruguera ist nicht ohne ihr Künstlerkollektiv INSTAR (Instituto de Artivismo Hannah Arendt) denkbar. Es wendet sich gegen die Diktatur in Kuba und mischt in München mit. Hamlet Lavastida zeigt Propaganda ex negativo. Die Figuren, Ornamente, Schriftzüge, Abkürzungen und Symbole sind aus dem beigen Plakatpapier gestanzt und werden erst durch die grüne Wandfarbe sichtbar. Dass es bei den fragilen Arbeiten nicht um nette Tortenspitze geht, ist klar, selbst wenn man nicht weiß, dass „UMAP“ für ein Lager steht, in das dem Regime missliebige Menschen gesperrt werden. Das nächste Zimmer ist ein strahlend weißer Irrweg, in dem Wörter nur noch in Fetzen existieren. Auf diese „Zensur“ folgt „Protest“ (unter anderen mit Grafikdesignerin Claudia Patricia) auf schwarzem Teer, mit verschmierten Wänden, Anti-Propaganda und Getümmel aus dem Lautsprecher.
Dass die Gruppe selbst versucht, aus Schwarz-Weiß-Denken herauszukommen, belegen die Bildkombis „Antes/Después“ (vorher/nachher) zur gut gemeinten Revolution mit dem Idol Che Guevara. Da sehen wir also die „kubanische Familie“ 1959 und 2023: vor einer Bretterhütte. Gegen schematisches Urteilen wendet sich ebenso das geplante Filmfest, das vor allem unabhängige chinesische Werke vorstellt (1. bis 3. November), wie die Gesprächsreihe über Zensur, Boykott und Absagen in Deutschland im Zusammenhang mit der berechtigten Sorge, dass der Antisemitismus zunimmt (Januar bis März 2025).
Wie Menschen Argumente austauschen sollten, führt exemplarisch Yael Bartanas Video vor. In einem Konferenzraum sitzen Frauen an einem großen runden Tisch. Diese Ritterinnen der Tafelrunde (echte Expertinnen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft inklusive Militärstrategie und Politik) diskutieren mit der Staatsführung (Schauspielerinnen), was zu tun ist, denn ein nuklearer Angriff droht. „Zwei Minuten vor Zwölf“ ist der Film zu Putins Krieg, möchte man meinen. Er entstand jedoch schon 2021.
Damals war der Stand der Weltuntergangsuhr so, heute ist es 90 Sekunden vor Mitternacht, wie Kuratorin Pereña weiß. Bartanas Projekt erinnert an die Arbeiten der Theatergruppe Rimini Protokoll. Tatsächlich entwickelte es sich aus den Performances „Was, wenn Frauen die Welt beherrschten?“ und „Begrabt unsere Waffen, nicht unsere Leichen!“. Neben dem Bühnenbezug gibt es den Hinweis aufs Kino, auf Stanley Kubricks Männer-Groteske „Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“.
Beide Ausstellungen durchleuchten ein Geflecht von Bezügen, drängen aber niemandem eine bestimmte Sicht auf. Unsere Lust am Sinnieren soll allerdings herausgekitzelt werden. Auf geht’s zum Philosophieren! Wie hängt was zusammen? Was ist, wenn ich die Position eines anderen einnehme? Welche Folgen könnte was haben? Im VS-Interim sind zwei wertvolle, unterhaltsame Anregungen geglückt – in Zeiten des fruchtlosen Sich-gegenseitig-Angiftens.
SIMONE DATTENBERGER
Bis 20. Oktober
Di.-So. 12-20 Uhr, erster Freitag im Monat 18-22 Uhr; Goethestr. 54. Infos unter www.villastuck.de.