Jordi Savall thematisierte den Sklavenhandel. © Daniel Dittus
Der Clou der ersten Festivaltage war das ausverkaufte Konzert mit Jung-Star Klaus Mäkelä am Pult seines Oslo Philharmonic Orchestra. © Oslo-filharmonien
„Und ich lebte doch in völliger Harmonie/ mit Gottes Schöpfung. / Tup~a hat mir die Freude gegeben, Indio zu sein, / und ihr habt mich des Zaubers beraubt, rein zu sein. / Indio zu sein, / rein zu sein, / schön zu sein.“ So heißt es in einem der Gesänge in dem überragenden Konzert „Un mar de músicas“, mit dem Jordi Savall und seine Ensembles La Capella Reial de Catalunya, Hespèrion XXI und Tembembe Ensamble Continuo das über Jahrhunderte währende Menschheitsverbrechen des Sklavenhandels zum Thema machen. Mit dabei sind Sänger, Musiker, Tänzer aus jenen Ländern, die Opfer waren des Menschen- und Kulturraubs durch Spanien, Portugal mit dem Segen der katholischen Kirche: Brasilien, Guinea, Guadalupe, Kanada, Kuba, Kolumbien, Mexiko, Mali, Haiti, Venezuela.
Lieder von Leid und (Über-)Lebenslust
Dieses Konzert mit seinen wiederentdeckten Liedern und Texten voller Leid, Trauer, aber auch (Über-)Lebenslust, durch das souverän der Schauspieler Bless Amada führt, ist einer der Höhepunkte des diesjährigen Musikfests Berlin. Hauptaustragungsort dieses Festivals der Berliner Festspiele ist die Philharmonie. Es ist die 20. Ausgabe und stellt eine imponierende Parade hochkarätiger Orchester, Ensembles und Solisten dar.
Mit dem Motto „Amériques“ (auch der Titel des Eröffnungsstücks von Edgar Varèse) hat Festival-Leiter Winrich Hopp, der zudem die musica-viva-Konzerte des Bayerischen Rundfunks verantwortet, dem Ganzen einen interessanten Generalaspekt verpasst. Mit dem brasilianischen Sao Paulo Symphony Orchestra unter Thierry Fischer und dem Solisten Roman Simovic war ein starker Auftakt gesetzt. Es folgte Franz Welser-Möst mit dem Cleveland Orchestra mit Prokofjews auf seine Amerika-Erfahrung antwortender zweiter Symphonie und der faszinierenden Uraufführung „Can you see?“ von Allison Loggins-Hull. Sie war anwesend und erntete für ihre musikalische Auseinandersetzung mit den krassen Widersprüchen zwischen US-amerikanischer Nationalhymne und der Wirklichkeit begeisterte Zustimmung. Das dritte Orchester aus der Neuen Welt war das Kansas City Symphony mit seinem neuen Chef Matthias Pintscher. Begeisterungsstürme vor allem für George Gershwins hundertjährige „Rhapsody in Blue“ mit dem jungen Pianisten Conrad Tao sowie für Aaron Coplands dritte Symphonie. Die amerikanische zeitgenössische Musik des 20. und jene des noch jungen 21. Jahrhunderts sind von starker, bildlicher Aussagekraft und fanden den verdienten großen Anklang.
Blieben in den ersten Tagen des Festivals noch einige Plätze unbesetzt (die letzte Ferienwoche in Berlin), so steigerte sich die Auslastung zunehmend mit den Namen der Dirigenten: Riccardo Chailly, der mit der Filarmonica della Scala des jüngst verstorbenen Wolfgang Rihm gedachte, und Ingo Metzmacher, dessen Gustav Mahler Jugendorchester Richard Wagner, Luigi Nono und Anton Bruckner miteinander verband. Bislang der Clou war der Auftritt der Oslo Philharmonic. Ausverkauft! Suche-Karte-Schilder! Jung und Alt strömte in die Philharmonie. Nicht um in erster Linie Dmitri Schostakowitschs fünfte Sinfonie zu hören, die an sich schon jede Reise wert ist, oder den musikalischen Austausch mit den Vogelstimmen vom Polarkreis des finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara. Nein, diese Vorabbegeisterung galt dem Jung-Maestro Klaus Mäkelä aus Helsinki. Der 28-Jährige, der seit vier Jahren Chef dieses großartigen Orchesters ist, ein Weltstar schon jetzt, hält mit Nonchalance, Gestik und mit der Aura eines so natürlichen wie selbstbewusst bescheidenen Imperators, was das Konzertvolk von ihm erwartet. Selten wohl hat man Schostakowitschs Fünfte so gehört: plausibel, vorurteilsfrei, erfrischend, neu bewertet durch diesen Protagonisten der jungen Generation.
Da mussten zwei Tage später Sir Simon Rattle, der von den Berlinern mit Jubel an seiner alten Wirkungsstätte empfangen wurde, und das BR-Symphonieorchester mit Mahlers Sechster doch ein bisschen „arbeiten“, um eine ähnliche Beifalls-Phonstärke zu erreichen wie der junge Finne und seine Norweger. Die Berliner sind ein treues Völkchen, ihre Herzen flogen dem alternden Sir einfach zu.
Weiter geht es im Festival-Programm bis zum 18. September. Jetzt kommen vermehrt Berlins Klangkörper zur Geltung sowie auch die Philharmoniker aus Wien. In der so vielfältigen, reichen Musikstadt Berlin geben sich bei diesem Jubiläumsfest die Ikonen des Orchesterlebens die Klinke vom Bühneneingang in die Hand. Unter ihnen Joana Mallwitz, Kirill Petrenko, Vladimir Jurowski, Donald Runnicles, Christian Thielemann. Und wenn der vom Publikum bejubelte Jordi Savall mit seinen Ensembles und Gastmusikern, mit den Liedern der Sklavinnen und Sklaven zwischen 1440 und 1880 ein musikalisches Netz über den Schwarzen Atlantik, von der afrikanischen zur amerikanischen Küste, zur Karibik und zurück nach Europa gespannt hat, dann haben sich auch alle bei diesem Musikfest aufspielenden Künstler ebenfalls darunter versammelt. Jordi Savall: „Die Musik als ein Mittel zum Überleben.“
SABINE DULTZ
Karten für die Festspiele
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