Alles, was Nick Cave tut, was ihm zustößt, hat biblische Dimensionen. Nicht nur hat sich der Australier mit dem Gottvater-Bariton seit jeher am Allmächtigen abgearbeitet. Er verlor innerhalb von sieben Jahren seine Söhne Arthur und Jethro. Seither hat er öffentlich getrauert, ja: Er hat das Trauern als Kunstform auf eine neue Ebene gehoben. Jetzt scheint sich da etwas zu ändern: Nach drei Alben, die im Zeichen des unfassbaren Verlusts standen, lässt der große Sänger und Dramatiker im starken „Wild God“ (wieder mit den alten Begleitern Bad Seeds) Licht herein. Er versucht es zumindest.
Etwa in „Frogs“, das mit einer Spieldosen-Melodie beginnt und sich zum symphonischen Brausen ausweitet. Auch hier ist vom sonntäglichen Regen die Rede, aber immerhin denkt man bei dem Titel nicht mehr unbedingt an eine alttestamentarische Frosch-Plage.
Freilich entwickelt Cave viele Erzählungen immer noch aus dem Verlust heraus. Die traumartige, groteske Hymne „Joy“ etwa beginnt mit einem Blues-Klischee: „I woke up this Morning.“ „Ich erwachte heute Morgen und hatte das Gefühl, dass jemand aus meiner Familie gestorben sei.“ Der Erzähler springt auf wie ein Hase, fällt auf die Knie, fleht zu Gott. Doch während des Lamentos erscheint ihm ein Geist in großen Sneakern. Ein flammenumflorter Junge, der sagt, jetzt sei es auch mal gut mit der Trauer. „Jetzt ist die Zeit für Freude.“ Chöre singen, das Piano perlt, ein Waldhorn tutet erhaben. Man hat fast das Gefühl, als ironisierte Cave hier seine bisherige Bewältigungsstrategie.
Der Humor ist zurück. Und die Frauen – etwa im wunderbaren „O wow o wow (how wonderful she is)“, das Anita Lane gewidmet ist. Am Ende, in „As the Waters cover the Sea“, schaut Cave seiner Frau beim Schlafen zu, als plötzlich helles Sonnenlicht das Zimmer flutet. Ein Gospel-Chor jubiliert. Jesus ist von den Toten auferstanden. Die Frau erwacht, wendet sich Cave zu – und alles ist gut.
Es gibt eine Zeit zum Trauern und eine Zeit der Freude. Nick Cave versucht sich an dieser Zeitenwende.
JOHANNES LÖHR
Nick Cave:
„Wild God“ (Play It Again Sam). Cave spielt am 18. Oktober mit den Bad Seeds in der Münchner Olympiahalle.