Leichter Stil und schwere Kost

von Redaktion

Die Gewinnerfilme des Festivals in Venedig machen sperrige Themen erlebbar

Reiste kurz darauf ab: Preisträgerin Nicole Kidman wurde von Tod ihrer Mutter überrascht. © dpa

Preisgekrönt: der Franzose Vincent Lindon. © afp

Mit dem Großen Preis der Jury: Maura Delpero © afp

Auch modisch ganz vorne: Tilda Swinton (li.), Pedro Almodóvar und Julianne Moore auf dem roten Teppich. © Joel C Ryan / dpa

Es gehört einiges an Kunst dazu, so leichtfüßig vom Tod zu erzählen wie Pedro Almodóvar. Mit einem ebenso mutigen wie poetischen Plädoyer für Sterbehilfe hat der spanische Star-Regisseur den Goldenen Löwen in Venedig gewonnen. Sein Drama „The Room Next Door“ erzählt von einer todkranken Frau, die ihrem Leben selbst ein Ende setzen will – und dabei Unterstützung von ihrer Freundin bekommt. Tilda Swinton und Julianne Moore spielen die Hauptrollen – und seien großartig darin, urteilt Jury-Präsidentin Isabelle Huppert. Über Almodóvar sagt sie: „Er bringt uns zum Nachdenken darüber, was es bedeutet, am Leben zu sein, und was es bedeutet, sein Leben zu beenden.“

Nicht nur „The Room Next Door“, auch die weiteren Gewinnerfilme der diesjährigen Filmfestspiele machen schwere Themen auf persönlicher Ebene erlebbar. „Was viele Filme vereint, die wir mochten, war, dass große menschliche, soziale und auch politische Fragen anhand von Einzelschicksalen oder von Familienkonstellationen erzählt wurden“, sagte Regisseurin und Jury-Mitglied Julia von Heinz der Deutschen Presseagentur.

Wie Zuschauer es von den Filmen Almodóvars gewohnt sind, hat „The Room Next Door“ außerdem eine besondere Optik – mit leuchtenden Farben und Bildkompositionen, die wie Gemälde gerahmt sind. Das Drama ist zudem leichtfüßig, hat einige lustige Momente. „Der Film ist seltsamerweise nie wirklich sentimental“, beschrieb es Huppert. „Der Humor zog sich durch“, sagte von Heinz. Almodóvar erzählt von weiblicher Freundschaft – ein Thema, das in Filmen nicht besonders häufig behandelt wird, wie Julianne Moore in Venedig feststellte.

Zu den weiteren Gewinnern zählt die italienische Regisseurin Maura Delpero, die für ihren Film „Vermiglio“ den Großen Preis der Jury erhielt. Das Historiendrama erzählt vom Leben einer Familie in einem italienischen Bergdorf während des Zweiten Weltkriegs. Der Film fokussiert sich vor allem auf die weiblichen Figuren und ihr vom Katholizismus und patriarchalen Strukturen geprägtes Leben.

Den Silbernen Löwen für die beste Regie gewann der US-Amerikaner Brady Corbet für „The Brutalist“. Das beeindruckende Historiendrama erzählt von einem jüdischen Architekten (Adrien Brody), der nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA ein neues Leben beginnen will – und bei einem gigantischen Bauprojekt landet. „Der Film handelt von einer Figur, die vor dem Faschismus flieht und dann auf den Kapitalismus trifft“, erklärte Corbet. Einen Spezialpreis erhielt die georgische Filmemacherin Dea Kulumbegashvili für „April“. Das Drama handelt von einer Frauenärztin, die auf dem Land illegal Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Kulumbegashvili gilt mit Corbet als große Entdeckung des Festivals.

Die Schauspielpreise gingen an den Franzosen Vincent Lindon, der in „The Quiet Son“ einen Vater verkörpert, dessen Sohn in die Neonazi-Szene abrutscht. Ausgezeichnet wurde auch Nicole Kidman, die in „Babygirl“ eine Chefin spielt, die eine Affäre mit ihrem Praktikanten beginnt. Den Preis für das beste Drehbuch wurde an die Brasilianer Murilo Hauser und Heitor Lorega verliehen, die in Walter Salles‘ Film „I‘m Still Here“ den Fall eines zur Zeit der Militärdiktatur verschleppten Familienvaters rekonstruieren.

Mit dem nach Marcello Mastroianni benannten Preis für ein herausragendes schauspielerisches Talent wurde der 22-jährige Franzose Paul Kircher geehrt, der in der Romanadaption „Leurs enfants après eux“ einen Jugendlichen in der Provinz spielt. In der Sektion Orizzonti konnte die Amerikanerin Sarah Friedland mit ihrem Film „Familiar Touch“ gleich drei Preise einsammeln, darunter für die Regie.

Trotz dieser schweren Themen ist keiner der ausgezeichneten Filme belehrend, sie bringen dem Publikum drängende Themen auf kunstfertige Weise nahe. „Wir brauchen das Kino, um große menschliche und soziale Fragen zu adressieren“, beschreibt Julia von Heinz ihr Resümee nach elf Tagen Festival.

Und manchmal dringt wiederum das echte Leben ins Kino ein. Preisträgerin Kidman konnte, anders als geplant, nicht zur Gala erscheinen. Kurz nachdem sie in Venedig angekommen war, habe die Schauspielerin die Nachricht erhalten, dass ihre Mutter Janelle Ann gestorben ist, las die Regisseurin Halina Reijn im Namen Kidmans auf der Bühne vor. „Ich stehe unter Schock und muss zu meiner Familie, aber dieser Preis ist für sie.“
LISA FORSTER,

BARBARA SCHWEIZERHOF

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