Adoption – eine schwere „Geburt“

von Redaktion

Ulrike Draesner legt mit „zu lieben“ einen hervorragenden Frauenroman vor

Sehr persönlich erzählt die gebürtige Münchnerin und Wahlberlinerin Ulrike Draesner. © Gerald Zoerner

Den qualvollen Weg zum Wunschkind schildert Ulrike Drasener und nimmt den Lesenden mit auf ihre Adoptionsreise. © Lars Halbauer/dpa

„Frauenroman“: Der Begriff ist als tödliche Bezeichnung für ein künstlerisches Werk benutzt worden. Aber soll man diese Infamie akzeptieren? Längst hat die Realität bewiesen, dass der „Frauenroman“ auf ästhetischen Gipfeln thront, und nur schmallippige Kleingeister das nicht wahrhaben. Ulrike Draesner, die zuletzt 2023 mit „Die Verwandelten“ einen großartigen Frauenroman vorlegte, tut es mit „zu lieben“ schon wieder. Wobei: „Roman“? Auf Cover und Vorsatzblatt lesen wir das Wort Roman, das durchgestrichen ist (!). Also ist der Text der gebürtigen Münchnerin und Wahlberlinerin Fiktion und zugleich keine Fiktion.

Ulrike Draesner hat eine Tochter, möchte von der Adoption erzählen, weiß freilich, wenn sie schreibt, verwandelt sich das Authentische in Kunst. Schließlich kann sie das Dichterin-Sein nicht abstreifen. Das und anderes mehr reflektiert die Autorin in Einschüben, die ihrerseits oft ins Schildern hinüberrutschen: „Alles, was hier zu lesen ist, hat sich mehr oder minder zugetragen. Vor allem mehr.“ Die Geschichte, die naturgemäß viel früher begann, lässt das Erzähl-Ich mit „Die Nachricht“ starten. In einem Münchner „Omacafé“ erreicht sie der Anruf, dass sie endlich Mutter werden würde.

Mit ihrer geradezu genüsslichen Fabulierkunst schmückt die Schriftstellerin die Szenerie aus zwischen Schoko-Katzenzungen, Zeitsprüngen („noch mein Mann, nicht mein Ex-Mann“), NS-Erziehungsdogmen, Leberkäs und S-Bahn-Katastrophe. Informationen ballen sich, Gefühle bäumen sich auf, Details springen hervor und verschwinden, Witziges ploppt auf, Melancholie weht vorbei.

Selbst wer sich weder für Kinder noch für die Verzweiflung der Frauen nach grausamen Fehlgeburten interessiert, weder für die Sehnsucht nach Familie mit einem aufwachsenden Menschlein noch für die Einsamkeit in Beziehungen und in Noch-nie-Beziehungen, der wird von dem Buch „zu lieben“ trotzdem mitgerissen. Weil das Buch spannend ist, obwohl man weiß, dass die Adoption glücken wird, Mama und Tochter einander längst lieben. Weil ein buntes Gewurle an Episoden, Persönlichkeiten, emotionalen Aufs, Abs und Abenteuern, an kulturellen Überraschungen – das Mäderl wird 2009 in Sri Lanka adoptiert –, Leid und Gaudi sich zum großen Bogen einer Liebesgeschichte fügen und runden.

Und den tragen Frauen. Hauptsächlich das Ich, die Mama, die sich schinden muss: Die Gerichtsgebäude in Colombo mit ihren Dschungeln aus Fluren dafür ohne Frauen-Klos hätten sogar Kafka Respekt abgenötigt. Die Hitze in Sri Lanka zermürbt jeden und besonders Nordeuropäer. Vor allem aber die dreijährige Mariya/Mary (alle Mädchen, die keinen Namen haben, werden in dem vom Mutter-TeresaOrden betriebenen Institut nach der Gottesmutter genannt), stellt durch ihre Unnahbarkeit die zukünftige Mutter auf eine harte Probe. Eine schwierige „Geburt“.

Dieses Kind ist das zweite Kraftzentrum. Es hat sich seine Persönlichkeit bewahrt in einem zwar äußerlich fürsorglichen, indes seelisch abgestorbenen Heim, in dem sich psychisch und physisch versehrte Frauen um ebensolche Kinder kümmern – und diejenigen übrig bleiben, die kein sri-lankisches Paar aufnehmen will. Mary ist ein uneheliches Kind, von Thilini geboren, die selbst erst zwölf Jahre alt war und von der Familie verstoßen wurde. Rückgängig zu machen ist das nur, wenn Mary verschwindet. Und da ist noch die schillernde Heidi mit Dackel-Wunsch – halb deutsch, halb sri-lankisch, halb Curry, halb Kipferl, halb Engel, halb Kapitalistin –, die für den deutschen Adoptionsverein und die Eltern in spe alle Hürden beiseite räumt.

Ulrike Draesner schildert eigentlich einen qualvollen Weg zum Kind. Sie schildert ihn mit so viel Humor und Weisheit, dass alle Lesenden ihn nur zu gern mitgehen werden. Schließlich gibt es ja auch ein Happy-End.
SIMONE DATTENBERGER

Ulrike Daesner:

„zu lieben“. Penguin Verlag, München, 344 Seiten; 24 Euro.

Lesung: Ulrike Draesner stellt ihr Buch am 7. November, 20 Uhr, im Münchner Literaturhaus, Salvatorplatz 1, vor; Karten unter 0761/88849999 oder unter literaturhaus-muenchen.reservix.de.

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