Persönliches ohne Pathos

von Redaktion

Die Münchner Philharmoniker und Lahav Shani erinnern unter anderem an den Hamas-Überfall

Seit ihrer Schulzeit kennen sich Komponist Michael Seltenreich (li.) und Dirigent Lahav Shani. © Co Merz

Bislang führt er bei den Münchner Philharmonikern zwar noch den Titel als „designierter Chefdirigent“, doch das Publikum scheint Lahav Shani bereits jetzt ins Herz geschlossen zu haben. Zumindest ist dies der Eindruck, der sich zum Saisonauftakt mit ihm in der Isarphilharmonie vermittelt. Zunächst mit einem einprägsamen Bruckner, der bewies, dass er sich im Kernrepertoire seines künftigen Orchesters souverän zu bewegen versteht. Und nun noch mit einem dramaturgisch klug zusammengestellten Programm, bei dem sich Shani entdeckungsfreudig ins 20. und 21. Jahrhundert tastete. Mit Stücken, die sonst in Abo-Konzerten gerne mal das moderne Feigenblatt bilden, hier aber bewiesen, dass man mit ihnen auch mühelos einen ganzen Abend füllen kann, ohne nur auf ein Nischenpublikum zu schielen.

Kurz und knackig Unsuk Chins „subito con forza“, bei dem die Philharmoniker trotz vielsagendem Titel sehr wohl ihre Pianissimo-Qualitäten zeigen durften. Was sich als idealer Prolog zu Henri Dutilleux‘ Violinkonzert „L’arbre des songes“ erwies. Ein virtuoses Paradestück für Solist Renaud Capuçon, dem Shani genügend Freiraum gönnte, ohne darüber die Feinheiten in der Orchestrierung zu ignorieren.

Persönlich wurde es schließlich nach der Pause mit der Erstaufführung von Michael Seltenreichs „The Prisoner’s Dilemma“. Einem Werk, in dem der Hamas-Überfall auf Israel vom 7. Oktober 2023 und dessen Folgen nachklingen. Wobei der israelische Komponist keineswegs mit patriotischem Pathos operiert, sondern mit wehmütigen Klängen das Leid beider Seiten thematisiert. Und diese emotionale Zerrissenheit vermochte auch Lahav Shani stets deutlich aus der Partitur herauszukitzeln. Ähnlich wie in der ersten Symphonie von Paul Ben-Haim, die sich einerseits spätromantisch opulent entfalten durfte, im langsamen zweiten Satz aber auch eine sanfte Spiritualität ausstrahlte, ehe das Finale nochmals die Emotionen im Saal hochbrausen ließ. Ein interessanter Vorgeschmack, der gespannt in die Zukunft blicken lässt.
TOBIAS HELL

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