Bechern bis zum Herzinfarkt: Trinker Andreas (Otto Beckmann, re.) und einer seiner Saufkumpanen (Johannes Schön). © Robert Haas
Wenn man das hört, bleibt einem die Martini-getränkte Olive im Halse stecken: Kurz nach Vollendung seiner letzten Erzählung „Die Legende vom heiligen Trinker“ hat sich Joseph Roth zu Tode getrunken. Entsprechend bedrückt setzt man sich in die Publikumsreihen des Münchner Teamtheaters, gespannt, wie das Ensemble diese bittersüße Geschichte erzählen wird. Denn Roth macht es uns nicht leicht mit der Interpretation. Ist dieser schwer alkoholkranke Andreas, aus dessen letzten Lebenstagen uns der ebenso schwer alkoholkranke Autor berichtet, nun eine arme Sau oder ein freier Vogel? Vertut er seine Zeit mit dem ewigen Bechern – oder tut er mit dieser hochprozentigen Weltflucht das einzig Gescheite, weil jedes Abstrampeln in dieser kapitalistischen Welt eh vergeblich ist?
Regisseur Georg Büttel wählt mit seinem tragikomischen Ansatz einen gelungenen Zugang. Und hat mit Otto Beckmann in der Hauptrolle und Joni-Beth Brownlee, Anna Knott und Johannes Schön in munter wechselnden Rollen ein spielfreudiges, wandelbares Ensemble. So wie sich Brownlee mal in Andreas’ einstige Liebe Karoline, dann wieder in Zimmermädchen oder fremden Herr verwandelt, sehen wir die Welt, wie sie auch die Hauptfigur sieht: als ein Einerlei ineinander verschwimmender Tage, mit austauschbaren Menschen, jeder reduziert auf seine Funktion als potenzieller Saufkumpan. Ganz nach Udo Lindenberg: „Alle Tage sind gleich lang, jedoch verschieden breit.“
Doch warum sollen nicht auch einem Pariser Stadtstreicher wie Andreas Wunder geschehen? Erst taucht ein christlicher Wohltäter auf und schenkt ihm 200 Francs. Völlig unvermittelt. Falls er das Geld zurückgeben wolle, dann möge er es bei der Statue der heiligen Therese von Lisieux in der Kapelle Ste-Marie des Batignolles hinterlegen, spricht der Fremde. Hier in Gestalt einer Puppe, geführt von den Schauspielern. Ein Theatertrick, durch den die Szenerie etwas Träumerisches bekommt – ist’s am Ende alles nur eine versoffene Fantasie des Trinkers?
Wunder um Wunder folgen, immer wieder landet unverhofft Geld in Andreas’ abgetragenen Hosentaschen. Otto Beckmann spielt entzückend die kindliche Freude darüber, dass sein Andreas jetzt endlich die 200 Francs zurückzahlen kann. Doch immer kommt ihm jemand, besser: etwas dazwischen. Es ist flüssig und schmeckt nach Pernod, Rotwein, „Cognac! Cognac! Cognac!“ Mit jedem Wunder probiert Andreas erste Schritte Richtung Neuanfang – nur um dann mit umso größeren zurückzutaumeln.
Dass man diese bitteren Tropfen als Zuschauer trotzdem schluckt, liegt an den Stückchen Zucker, mit denen das Ensemble sie serviert. Dank französischer Chansons und englischer Sauflieder gerät der Abend zu einer anrührenden wie unterhaltsamen Reflexion über den Sinn des Lebens. Wie singt es Anna Knott hauchzart in „Mon chant d’aujourd’hui“? „Mein Leben ist nur ein einziger Tag, der mir entgeht und entflieht. Du weißt es, o mein Gott! Um dich auf Erden zu lieben, habe ich nichts als den heutigen Tag! Ich habe nichts als den heutigen Tag.“
KATJA KRAFT
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