Mit dem Holzhammer

von Redaktion

Kammerspiele starten mit „Mia san Mia“

Zombies des Brauchtums: die letzten Bayern (Walter Hess, Bernardo Arias Porras und Wiebke Puls, v. li.) in „Mia san Mia“. © Matthias Horn

Ein bisschen erinnert dieser Theaterabend an die Szenen beim Hau-den-Lukas, wie wir sie von diesem Wochenende an wieder auf der Wiesn werden beobachten können: breitbeiniges Gegockel, derbe Sprüche – und dann verhebt Mann sich doch am Vorschlaghammer, weil a) dieser zu schwer oder b) der Alkoholspiegel im Blut zu hoch ist. Der Gaudi-Faktor ist groß, ebenso die Gefahr, den Falschen zu treffen. Ja, mei?!

So ähnlich verhält es sich also bei „Mia san Mia“ von Marco Layera und Martín Valdés-Stauber; die Uraufführung eröffnete am Donnerstag die Spielzeit an den Münchner Kammerspielen. Diese rund 90 Minuten gleichen einer Fahrt in der Geisterbahn – auf mehreren Ebenen. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Doch einer der Unterschiede zwischen Theater und Volksfest ist, dass Ersteres differenzieren kann, wo Zweiteres der große Gleichmacher ist. „Mia san Mia“ gehört dennoch eher zur Kategorie Dosenwerfen. Schade.

Dabei hat die Grundidee dieser „bayerischen Space Odyssey“ durchaus Witz: In einer fernen Zukunft existiert die letzte bayerische Siedlung auf einem unwirtlichen Wanderplaneten. Sie wurde Jahrzehnte zuvor von einem wagemutigen Mann und einigen Mitstreitern gegründet, da sie ihre Tradition weiterhin leben wollten. „Unser einziges Verbrechen ist, unsere Heimat zu lieben. Stolz auf unsere Geschichte zu sein und unser Brauchtum zu verteidigen“, heißt es einmal im Stück. Ab und an besuchen nun Touristen den Ort, um diese in Vergessenheit geratenen kulturellen Ausdrucksformen hautnah zu erkunden.

Doch das Althergebrachte ist auch hier längst abgestorben. Die Trachtler sind wie Zombies und führen einen Totentanz auf, alles Vitale ist bloße Behauptung. Genauso wie der Billo-Maibaum und die Plastik-Geranien vor dem trauten Heim der Auswanderer, die Jana Findeklee und Joki Tewes auf die Bühne des Schauspielhauses gebaut haben.

Freilich ist nichts einzuwenden gegen eine zünftige Bayern-Persiflage. Im Gegenteil: Dieses Genre wurde und wird von zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern unterschiedlicher Disziplinen (gerade aus dem Freistaat) intensiv, unterhaltsam und mit Erkenntnisgewinn fürs Publikum bearbeitet. Eine Gaudi ist das oft. Das Problem von „Mia san Mia“ ist, dass Layera und Valdés-Stauber in ihrem Text sträflich oberflächlich bleiben und ausschließlich die durchgenudelten (ober-)bayerischen Klischees verwursten. Das aber ist zu wenig.

Eigentlich geht es den beiden Autoren allerdings um etwas anderes. Sie begreifen Brauchtum als ein „Wir gegen die“ und als eine Möglichkeit, Neues und damit Unbekanntes fernzuhalten. Die Touris im Stück müssen sich assimilieren – oder werden aufgegessen. Dazwischen gibt es nichts.

Der Gedanke mag einem mitunter zwar in den Sinn kommen, ist letztlich aber grob geschnitzt. Sich der eigenen Identität bewusst zu sein, diese offen zu leben – das ist zunächst einmal ein individueller Prozess, der sich nicht per se als Bollwerk gegen ein wie auch immer geartetes Außen versteht. Obendrein finden sich Identitätsfragen nicht nur bei Volksgruppen, sondern überall in einer Gesellschaft. Da gibt’s etwa die queere Community, diverse Religionen, Bayern- und Sechziger-Fans etc. pp. – ihnen allen ist eine stabile Identität zu wünschen. Dann nämlich lebt die Vielfalt.

Letztlich ist das BayernBashing in „Mia san Mia“ indes harmlos. Obendrein glücken dem guten, siebenköpfigen Ensemble immer wieder auch herrlich schräge Szenen. Gedanklich ins Abseits katapultiert sich das Stück anderweitig: Die Autoren erinnern an die Verbrechen in der Colonia Dignidad in der chilenischen Heimat von Regisseur Layera. Die Siedlung wurde 1961 von dem pädophilen Prediger Paul Schäfer gegründet, der dort ein totalitäres, menschenverachtendes Regime installierte. Während der PinochetDiktatur stellte Schäfer, der 1921 in Bonn geboren wurde und 2010, vier Jahre nach seiner Verurteilung, in Haft starb, dem Geheimdienst seine Anlage als Folterkeller zur Verfügung. Seit 2012 werden Teile des Areals touristisch genutzt, für das Hotel Villa Baviera wird auch mit weiß-blauem Tamtam geworben.

Eben dies kritisieren Layera und Valdés-Stauber vollkommen zu Recht. Die Verschränkung von wichtiger Empörung und ihrer Abrechnung mit (bajuwarischem) Brauchtum geht jedoch fehl. Sie wird vor allem den vielen, vielen Opfern der Colonia Dignidad nicht gerecht.

Langer, heftiger und herzlicher Applaus.
MICHAEL SCHLEICHER

Nächste Vorstellungen

am 21. und 25. September;
Telefon 089/233 966 00.

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