In München: (v. li.) Sam Riley, Dramaturgin Sandra Maria Dujmovic und Regisseur Joachim A. Lang.
Zurück aus New York: Crankos Tänzer werden nach einer geglückten Tournee am Flughafen empfangen. Danach spricht die Presse vom „Stuttgarter Ballettwunder“.
Ging in seiner Kunst neue Wege: John Cranko (Sam Riley) mit dem Stuttgarter Ballett-Ensemble. © Port au Prince (2), Anna Beke
Auf dieses Kino-Ereignis haben viele Ballettfans gewartet. Auf die Stuttgarter Uraufführung von „Cranko“ am Freitag folgte Sonntagabend die Münchner Premiere, die mit viel Prominenz aus der Tanzwelt aufwartete: Neben Hauptdarsteller Sam Riley waren Regisseur und Drehbuchautor Joachim A. Lang sowie Weggefährten des Stuttgarter Ballettchefs John Cranko (1927-1973) gekommen, um den Spielfilm rund um den Schöpfer des Stuttgarter Ballettwunders angemessen zu präsentieren und zu feiern.
Allen voran Jürgen Rose, der als Kostüm- und Bühnenbildner aller zentralen Werke des südafrikanischen Choreografen – „Romeo und Julia“, „Onegin“, „Der Widerspenstigen Zähmung“ – verantwortlich zeichnete und als enger Vertrauter Crankos maßgeblich Anteil an dessen durchschlagendem internationalem Erfolg mit seiner „kleinen Tanzgruppe aus der Provinz“ hatte.
Auch von Crankos Münchner Tänzern – parallel zu Stuttgart war Cranko von 1968 bis 1970 Leiter des Balletts der Bayerischen Staatsoper – hatten einige Zeitgenossen ihren Weg ins gut gefüllte City-Kino gefunden: Elaine Underwood, die dem Bayerischen Staatsballett noch heute als Charakterdarstellerin verbunden ist, Ferenc Barbay, den Cranko als Solist nach München geholt hatte, oder Choreologin Cherie Trevaskis, die an Münchner Kreationen wie „Französische Suite“ (1969) oder „Orpheus“ (1970) mitgewirkt hatte. Auch aktuelle Ensemblemitglieder und der tänzerische Nachwuchs fanden sich als interessiertes Fachpublikum ein.
Ein erhebliches Maß an Verantwortung lag auf Riley, dem Erneuerer der Ballettkunst ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerecht zu werden und neues Leben einzuhauchen. Doch Rose bezeichnete den charmanten Briten ohne Umschweife als „eigentliche Sensation“ und „großen Glücksgriff“. Er betonte, dass auch Marcia Haydée, Crankos Muse, bei Rileys darstellerischer Leistung ins Schwärmen geraten sei: „John ist wieder bei uns!“
Riley selbst resümiert, wie intensiv die Arbeit an „Cranko“ gewesen sei. Der Film wurde in nur 25 Tagen abgedreht – es war fast unmöglich, das mit der Spielzeit des Ensembles des Stuttgarter Balletts zu vereinen. Außerdem habe er „noch nie so viel gesprochen, nicht einmal auf Englisch“, sagte Riley. Bei der Frage, wie man sich einer „Tanzikone Cranko“ – den er erst mal googeln musste – nähert, antwortet er: „Man öffnet sich und hofft, dass etwas von Johns Geist reinkommt. Und Johns Geist ist wirklich in jeder Ecke in diesem Haus, seinem Theater in Stuttgart. Er ist überall – in jedem jungen Tänzer zu finden. Das habe ich einfach genutzt.“ Rose, den man sich dringend beim Podium und nicht nur unter den Ehrengästen gewünscht hätte, bestätigt: „Die Energie vom Stuttgarter Ballett ist einfach einmalig. Der Geist John Crankos ist überall.“ Eines Mannes, der sein ganzes, aber viel zu kurzes Künstlerleben – mit 45 Jahren starb er bei einem Rückflug aus den Vereinigten Staaten – darum gerungen hatte, mit Ballett eine Kunstform zu erschaffen, die ohne Worte von Liebe, Sterben und vor allem dem Menschen erzählt – nicht von Tänzern, aber mit der Sprache des Tanzes.
Auch wenn das ausführliche Künstlergespräch nach dem eindringlichen 128-minütigen Film ein wenig zu lang geraten war und deshalb viele Anwesenden das Panel vorzeitig verließen, hallte der intensive Premierenabend bei vielen Gästen lange nach. Ab dem 3. Oktober kann – und sollte – man „Cranko“ bundesweit in den Kinos sehen.
ANNA BEKE