Beziehungsstatus: Es ist kompliziert zwischen Oberon (Lukas Rüppel) und Titania (Lea Ruckpaul). „Die lieben sich eigentlich. Haben aber verlernt, aufeinander zuzugehen“, erläutert der Schauspieler in unserem Gespräch. © SANDRA THEN
„Mich wundert immer, dass viele nicht gerne die unsympathischen Rollen übernehmen. Ich liebe das“, betont der im realen Leben kein bisschen unsympathische Lukas Rüppel. In Shakespeares „Sommernachtstraum“, mit dem das Residenztheater heute Abend die neue Spielzeit eröffnen wird, spielt der 38-Jährige den Oberon. „Den kann wirklich keiner leiden“, vermutet er. Ganz normale Menschen seien dieser Oberon und seine Partnerin Titania in der Inszenierung von Stephan Kimmig, ohne besondere Kräfte. An einem typischen Un-Ort unserer Gegenwart entwickelt sich Shakespeares magisch-verwunschene Komödie der Götter, Elfen und Handwerker dieses Mal. Statt einer mondbeschienenen Lichtung im dichten Tann gibt’s jetzt grelle Neonbeleuchtung und wummernden Sound vor dem heruntergekommenen Plattenbau. „Auf Watte, Äste und Blätter im Haar, auf diese verträumte Zauberwald- und Natur-Romantik haben wir komplett verzichtet. Aber ich habe einen Mantel mit einem Wald-Muster an, also findet man dieses märchenhafte Element schon wieder, aber eben eher zitiert.“
Im Liebestaumel vor der wenig anheimelnden Platte befinden sich unter anderem Oberon und Titania, gespielt von Lea Ruckpaul. „Die lieben sich eigentlich. Haben aber verlernt, aufeinander zuzugehen. Stattdessen reden sie nur noch aneinander vorbei. Wenn er über seinen Schatten springen und sich entschuldigen würde, könnte sie sagen: Versuchen wir’s noch mal. Aber es kommt einfach nicht dazu“, beschreibt Rüppel die Beziehungskrise des Paares. „Oberon findet sich selbst ganz toll mit seinem geölten Bart und den schicken Klamotten, und nimmt seinen eigenen Verfall anfangs gar nicht wahr. Der hat aber längst eingesetzt. Er hatte mal richtig Schlag bei den Frauen. Aber auf einmal läuft alles schief und der Mann redet sich um Kopf und Kragen, weil er vollkommen falsche Vorstellungen von einer Beziehung hat.“
Die Kommunikation mit der Herzensdame klappt nicht mehr. „Er schafft es nicht, die Frau so zu dominieren, wie er will. Also muss ein Trick her. Er setzt sie unter Drogen, um seine Ehre zu retten“, fasst Rüppel zusammen. Egal ob es sich um die Pflanze namens Vielliebchen wie im Original handelt oder wie in der Fassung von Regisseur Kimmig um einen Lippenstift – kann man das heute noch so erzählen? In einer Zeit, in der junge Mädchen beim Bar- oder Discobesuch Angst vor K.o.-Tropfen im Glas haben müssen? „Geht nicht“, findet der Schauspieler. „Würde man diese Waldelfen-mäßig seichte Geschichte erzählen, in der Oberon Titania den Nektar des Vielliebchens in die Augen träufelt, wäre es vielleicht möglich. Aber sobald wir im Hier und Jetzt sind, wo es Vergewaltigungen und Femizide gibt, ist das ein wirklich schwerer Übergriff.“
Mit Kimmig und seiner Bühnenpartnerin Ruckpaul habe man alle denkbaren Varianten durchgespielt. „Es gibt tausend Möglichkeiten, wie man das lösen könnte. Alle sind mehr oder weniger unkorrekt“, sagt Rüppel. Ein Shakespeare-Problem. „Bei dem gibt es immer irgendwas, wo man denkt: Will man das heute noch so machen? Wenn bei ‚Maß für Maß‘ beispielsweise am Ende der Erzherzog die 14-Jährige heiratet und dann sind alle glücklich – das geht doch nicht!“
Der gebürtige Göttinger, der nach dem Schauspielstudium an der Ernst-Busch-Schule in Berlin in Stuttgart, Frankfurt am Main und Dresden Theater spielte, ist über die Probenarbeit mit Kimmig sehr glücklich. „Ich mag das, wenn Regisseure offen sind für Veränderungen, für Diskussionen. Das ist eine gute Energie, aus der etwas entstehen kann. Niemand will doch mehr diesen nicht-autarken Schauspieler aus Andrea Breths Vorstellung, in der man nur als leeres Gefäß existieren durfte, in das die Vision des Regisseurs hinein geschüttet wurde.“ JanChristoph Gockel und Alexander Eisenach, mit denen er schon viel erarbeitet hat, hätten ihm beigebracht, „Verantwortung für meine Texte zu übernehmen. Das macht mir großen Spaß.“
Im „Sommernachtstraum“ hat er seine ShakespeareZeilen ergänzt. „Orientiert am Original“, versichert er sofort. „Weil ich den Fokus auf bestimmte Dinge legen und ich den Charakter etwas ausgestalten wollte. Ich wollte, dass man den nicht mag und dass Titania einen echten Grund hat, sich aufzuregen. Andererseits sollte Oberon aber auch zerbrechlicher wirken. Trotzdem ist er am Ende so verloren, dass sich das Publikum denkt: Ach, der arme Typ.“
Er spiele am liebsten Figuren, die nicht alles richtig machen, die im Unrecht sind und ein bisschen trottelig, sagt Lukas Rüppel. Nicht nur, weil das lustig anzusehen sei. Seine Rolle als durchtriebener Politiker in dem Ein-Mann-Stück „Rex Osterwald“ von Michael Decar war genau so ein Kerl. Eine durch und durch unsympathische Figur, und trotzdem hatte man letztlich Mitleid: „Und da ist man dann auf mein Spiel reingefallen.“
ULRIKE FRICK
Premiere
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