Verliebt, verlobt, verwandelt

von Redaktion

Das Münchner Volkstheater startet mit „The Lobster“ in die neue Spielzeit

Verrenkte, bedrängte Seelen: Paulina Alpen als David (li.) und Pauline Fusban, die eine Frau ohne Gefühle spielt, in „The Lobster“, der Saison-Eröffnung des Volkstheaters. © Marcella Ruiz Cruz

Man kann fast nicht hinschauen, so herrlich hässlich sind diese Klamotten: Die Frauen stecken in rosa Tutukleidchen, die Männer in Nazi-braunen Kommunionsanzügen mit kurzen Hosen. Dazu tragen beide Geschlechter Lackschuhe und weiße Kleinmädchen-Kniestrümpfe samt schwarzen Sockenhaltern. Auaaah! Schon diese entwürdigenden Outfits (Leonie Falke) sind ein einziger Hilfeschrei, ein Ausdruck verrenkter, bedrängter Seelen.

Folgerichtig geben die Figuren ihren inneren Verkrüppelungen auch äußerlich Ausdruck mit linkisch zuckenden, teils synchronen Bewegungen sowie allerlei sonstigen Verbiegungen, Macken, Makeln und Gebrechlichkeiten: Manche haben einen Buckel, andere gekrümmte Körper oder einen Mords-Überbiss. Die fettigen Haarsträhnen kleben diesen Mannsbild- und WeibsbildKarikaturen an den Stirnglatzen, sodass man sich vorkommt wie in der Geisterbahn klischeehafter Hässlichkeiten. Diese Anti-Tinder-Truppe ist eine Freakshow der uncoolsten Schreckschrauben und Krümelmonster, die das Attraktivitätsgebot des Dating-Zeitalters grandios ad absurdum führen.

Denn eben um diese Zwänge marktförmiger Zuchtwahl geht es in der Bühnenadaption von Yorgos Lanthimos’ Film „The Lobster“ (2015), mit der das Münchner Volkstheater seine neue Spielzeit eröffnete. Die Story ist eine klassische Gesellschaftsdystopie und spielt in einer Welt, wo die Pflicht zur Verpartnerung herrscht. Singles beiderlei Geschlechts verfrachtet man daher in ein Hotel, wo sie 45 Tage Zeit haben, den Menschen fürs Leben zu finden. Gelingt dies nicht, werden sie in ein Tier ihrer Wahl verwandelt. Für den Protagonisten David (Paulina Alpen) wäre das der Hummer (engl. Lobster). Aber wie sich’s für dieses Erzählmuster gehört, gibt es natürlich auch Singles, die aus dem Liebeszwang ausbrechen und illegal im Wald hausen. Doch um dort zu überleben, müssen sie sich ebenfalls zur Gruppe zusammenschließen, in der auch wieder unmenschliche Regeln und Hierarchien herrschen, bloß mit umgekehrtem Vorzeichen: Verlieben verboten!

Zu schade nur, dass Regisseurin Lucia Bihler das große Versprechen nicht einlöst, das sie uns mit der wunderbar irrwitzigen Kostümierung und Figurenverfremdung gibt: Statt die Story wirklich gegen den Strich zu bürsten, bleibt sie dem verstörenden Kern des Stoffes verhaftet und inszeniert eben keine schrille Farce, sondern eine dröge Tragödie. Mit seiner zahmen Taktung zieht sich der zweieinhalbstündige Abend viel zu zäh dahin, wo doch eigentlich das rasante Tempo einer Boulevardgroteske zwingend gewesen wäre, am besten gepaart mit Türen-Klippklapp und einem Text, der auf rasche, absurde Pointen zugespitzt ist. Die Komik, die man angesichts der Ausstattung erwarten durfte, will sich folglich nicht einstellen, und es bleibt bei ein paar vereinzelten, spärlichen Glucksern im Publikum.

Aber wenn er schon künstlerisch nicht aufgeht, bietet der Abend doch einige Zerstreuung nach dem Motto „Menschen, Tiere, Sensationen“. Denn da marschiert peu à peu ein Streichelzoo lebender Tiere über die Bühne, vom Hund über einen Kakadu bis zum Zwergpony – und ob das weiße Häschen „echt“ war, das nach der Pause im dunklen Tann sitzt, ist die Quizfrage, die wir mit auf den Heimweg nehmen. Aber auch Bühnenbildnerin Jessica Rockstroh sorgt für gelungene optische Effekte: Ihr Single-Hotel ist ein abgehalfterter Fünfzigerjahre-Schuppen mit Varietébühne sowie Wählscheibentelefonen, und nach der Pause wird’s noch besser, denn da steht ein dunkler Wald auf der Bühne mit ragenden, kahlen Kiefernstämmen, in dem uns die Single-Guerilla quasi „höhere Indianerspiele“ vorführt. Jetzt zwar in rebellisches Schwarz gewandet, aber immer noch mit Sockenhaltern…

Freundlicher, langer Applaus.
ALEXANDER ALTMANN

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am 2., 13. und 27. Oktober;
Telefon 089/523 46 55.

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