Absolut fantastisch spielt Liv Stapelfeldt (re.) die Protagonistin in „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“, hier eine Szene mit Ruth Bohsung. © Gabriela Neeb
Allzu viel passiert im Roman „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ der US-Autorin Ottessa Moshfegh nicht, nüchtern betrachtet. Die namenlose Ich-Erzählerin, die an der Welt und ihrem Überfluss leidet, will sich am liebsten in einer Art Winterschlaf für einen geraumen Zeitraum aus den Getrieben des Daseins in New York City zurückziehen. Raus aus der künstlichen, nur von Konsum und Sex und Schönheitswahn dominierten Blase, in der sich das Leben der Figuren abspielt. Empathie oder gar Engagement findet nicht mehr statt. Die Menschen treiben nur ziellos umher, getrieben von kurzzeitigen Begierden, aber letztlich immer distanziert, kühl und sich selbst entfremdet. Der Traum von der totalen Betäubung kommt dementsprechend also einem subversiven Akt gleich.
Am Münchner Volkstheater hat Regisseurin Katharina Stoll diesen kurzen Roman über den Wunsch nach dem eigenen Sich-Auflösen jetzt auf die Bühne gebracht. Lebendig, anrührend, klug. Ein wahres Kunststück, allein wegen der überstilisierten Handlungsarmut des Textes und der bleiern über allem liegenden Depression der Protagonistin. Die wird gespielt von Liv Stapelfeldt, und die macht das absolut fantastisch. Präzise im vermeintlich SchluffigDekadenten und bestechend klar im Urteil.
Bewusst kalt und wenig anheimelnd ist das Ambiente, vergleichbar der wiederholt zitierten Kühlhalle. Wicke Naujoks und Anna Wörl, die für Bühne und Kostüme verantwortlich sind, haben eine neonbeleuchtete Mischung aus Kältelabor und KlinikWartezimmer erschaffen, in der die junge Frau mit Kuscheldecke und Kissen unterm Arm während ihrer langen Monologe verzweifelt einen Schlafplatz sucht. Unbequem sieht alles aus. Letzte Zuflucht ist meistens der Platz vor dem dauerflimmernden Fernseher. Aus dem tröpfeln Filmzitate und Nachrichten jener Sommermonate im Jahr 2001, die eine zeitliche Einordnung möglich machen und Parallelen zu verschiedenen Ereignissen aufzeigen, darunter natürlich eines Anfang September. Denn „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ ist auch ein Abgesang auf eine Zeit, die wenig später unwiderruflich vorbei sein wird.
Gelegentlich schauen Ex-Freund Trevor (Alexandros Koutsoulis) oder die beste, weil einzige Freundin Reva (Ruth Bohsung) vorbei. Quatschen sie voll, laden ihren Psychomüll ab und verschwinden wieder. Dann tauchen die längst verstorbenen Eltern (Koutsoulis und Pia Amofa-Antwi) in Albträumen auf: Schauderhafte Botox-Zombies im silbrig schimmernden Kostümchen oder Hausmantel, die niemals echtes Interesse am eigenen Kind hatten und allein von Konventionen und den starren Regeln der Upper-Class New Yorks bestimmt wurden.
Untermalt wird dieses Szenario des sich steigernden Schreckens vom hypnotischen Electro-Soundtrack des Berliner Musikers Shaban alias Hannes Gwisdek. Dessen Klänge fügen sich einerseits überaus organisch in den Flow des Textes ein, nehmen seinen gemächlichen Rhythmus auf. Machen andererseits aber auch die Wirkung der bewusstseinsvernebelnden Substanzen deutlich, inklusive ihres allmählichen Abebbens.
Katharina Stoll, Mitbegründerin des feministischen Theaterkollektivs Glossy Pain, hat mit clever reduzierten Mitteln einen Totentanz aus Konsumterror, Langeweile und Lebensekel gezaubert, der trotz allem Reden vom Einschlafen überhaupt nicht müde macht, sondern wach. Und wütend. Wunderbar.
ULRIKE FRICK
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