PREMIERE

Tiefergelegt und mit Turbo

von Redaktion

Das Residenztheater startet rasant mit dem „Sommernachtstraum“

Spielmacher und Drogendealer: Max Rothbart als Puck.

Diese beiden fusionieren nicht nur ihre Autohäuser: Heidrun Hippolyta Klein (Lea Ruckpaul) und Theseus Wesselmann (Lukas Rüppel). © SANDRA THEN (2)

Das wurde aber auch wirklich Zeit! Endlich gibt es jetzt mal eine Inszenierung von Shakespeares „Sommernachtstraum“, die im Autohändlermilieu spielt – ein Berufsstand, der, angesichts seiner gesellschaftlichen Relevanz, in der Bühnenkunst der Gegenwart sträflich unterrepräsentiert scheint. Am Residenztheater, das seine neue Spielzeit am Freitag mit dem Shakespeare-Klassiker eröffnete, ist Theseus also kein mythischer Herzog von Athen, sondern ein halbseidener Geschäftsmann (schön schmierig: Lukas Rüppel), der seiner Finanzierungs- und bald auch Ehepartnerin Hippolyta eine Investitionsruine andreht („Es hat Potenzial“), um darin doch noch sein Autohaus eröffnen zu können.

Ausgedacht hat sich das Regisseur Stephan Kimmig, der mit souveräner Meisterschaft für reichlich Jux und Dollerei sorgt an diesem tiefergelegten Theaterabend samt Turbo und Einspritzer. Da hat sich auch Katja Haß nicht lumpen lassen und einen richtigen Boliden von Bühnenbild hingeklotzt: ein Beton-Ungetüm im Architekturstil des Brutalismus, das sich dreht und dabei labyrinthische Räume öffnet. Ist es eine Unterführung, ein abgewracktes Fabrikgelände der Ex-DDR, ein alter Weltkriegsbunker, woraus hier ein Autohaus werden soll? Mit seinen Graffiti-Wänden evoziert es auf jeden Fall die Romantik von Industriebrachen, wie sie schon vor Jahrzehnten von Modefotografen entdeckt wurde.

Überhaupt weht einem aus der Inszenierung der Oldtimer-Charme der Nachwendezeit in den Neunzigern entgegen, denn das junge Personal besteht aus typischen PartyPeople (Linda Blümchen, Vassilissa Reznikoff, Niklas Mitteregger, Vincent zur Linden), und dazu passend gibt es reichlich Techno-Gewummer – neben psychedelischen Sphärenklängen aus dem Elfenreich, für die auch Felicia Chin-Malenski auf der Klarinette sorgt. Puck wiederum ist bei Max Rothbart mit Sonnenbrille und wasserstoffblonder Zuhälterfrisur eine Art Drogendealer und schlauer Spielmacher zugleich. Besorgt er doch seinem Elfenkönig Oberon das LiebeszauberElixier, das für groteske erotische Verwirrungen sorgt.

Richtig hochtourig wird auch dieser „Sommernachtstraum“ bei der Komödie in der Komödie, also in den Szenen mit der Laienschauspieltruppe, die zur Eröffnung des Autohauses (!) ein Stück einstudiert. Die Leiterin der verkappten Psycho-Gruppe (Barbara Horvath) ist irgendetwas zwischen Stuhlkreis-Therapeutin und Dompteuse, und aus dem dominanten Laiendarsteller Zettel mach Florian von Manteuffel eine grandios funkelnde Knallcharge. Er stellt sich politisch überkorrekt als weiß gelesener Cis-Mann (oder so ähnlich) vor, entpuppt sich aber als absolut egomanische, eitle Rampensau, die am liebsten alle Rollen spielen möchte.

Diesem Regisseur kauft man einen Gebrauchtwagen ab

Wenn er dann von Puck in einen Esel „verwandelt“ wird, steigert sich dieser S-Klasse-Schauspieler aus der bloßen Komik heraus zu absoluter Virtuosität und balanciert auf dem schmalen Grat zwischen Irrwitz und Tragik: ohne Masken-Accessoires schafft er es, nur durch Körpersprache und Stimmakrobatik, gleichzeitig einen Esel darzustellen wie auch einen Menschen, der außer sich ist und nicht weiß, wie ihm geschieht, wenn er sich plötzlich als Esel erfährt – und erst recht, wenn sich Elfenkönigin Titania (Lea Ruckpaul), vom Liebeszauber gebannt, an seiner extrem auffälligen Hosenlatzregion zu schaffen macht …

Sicher, von Shakespeares Originaltext ist nicht gar so viel übrig bei dieser Aufführung, in der gerne mal Wörter wie „Zugewinngemeinschaft“, „Schwachmatenprosa“ oder „Power-Nap“ vorkommen. Aber der „Sommernachtstraum“, diese zeitlose Komödie der Wandlungen und Wirrungen, funktioniert eben oft am besten mit spielerischen Aktualisierungen, wie Stephan Kimmigs unterhaltsame Inszenierung einmal mehr bestätigt. Kurzum: Diesem Regisseur würde man jederzeit einen Gebrauchtwagen abkaufen.

Heftiger Beifall.
ALEXANDER ALTMANN

Nächste Vorstellungen

am 6., 10., 18. und 31. Oktober;
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