Ein Fall fürs Hörspiel

von Redaktion

FX Mayr inszenierte Nele Stuhlers „Und oder oder oder …“ im Marstall

Nachschauen im Textbuch (v. li.): Myriam Schröder, Pia Händler und Robert Dölle. © Birgit Hupfeld

Für Shakespeares Hamlet war die Sache ja noch einfach, denn es galt: „Sein oder nicht sein.“ Bei Nele Stuhler, Jahrgang 1989, wird es da schon deutlich kniffliger: „Und oder oder“, das ist jetzt ebenso die Frage wie „Überbetonung der Unterschiede“ oder „Unterbetonung der Überschiede“, „Halberstadt“ oder „Ganzer Stadt“. Um solche essenziellen Alternativen geht es in ihrem jüngsten Werk, das im Marstall des Residenztheaters uraufgeführt wurde und den vielsagenden Titel trägt „Und oder oder oder oder und beziehungsweise und oder beziehungsweise oder und beziehungsweise einfach und“.

Kapieren oder nichts kapieren, fragt man sich da unvermeidlich, auch wenn man schon mitkriegt, dass diese am Wortklang entlang assoziierte Textfläche aus Sätzen und Gegen-Sätzen in der sprachkritischen Tradition von Elfriede Jelinek und Ernst Jandl („laut und luise“) steht. Einerseits. Andererseits spukt der Philosoph Hegel herein, der wusste, dass jede Feststellung notwendig ihre Negation hervorbringt.

Offenbar hat die Autorin aber auch die Wirkung ihres Textes schon vorausgesehen: „Hei, was sind Sie müde“, rufen die Schauspieler dem Publikum etwa nach der Hälfte des eineinhalbstündigen Abends zu und treffen damit den Nagel auf den Kopf. Um die Zuschauer wieder aufzuwecken, ertönt folgerichtig kurz darauf ein ohrenbetäubender Theaterdonner, dass die Wände wackeln. Und (oder oder?) hatte Regisseur FX Mayr nicht ohnehin die ganz handfeste Frage zu lösen, wie man einen Text, der eigentlich ein Fall fürs Hörspiel ist, auf die Bühne bringt? Darum hat er sich auch hübsche, effektvolle Gags ausgedacht, die aber überwiegend beliebig bleiben. So ließ er den haarlosen Kopf von Robert Dölle in ansprechendem Vampirgrün schminken, während die Gesichter von Pia Händler und Myriam Schröder in Gelb, Rot und Blau changieren. Anfangs tragen die drei Akteure umständlich Tisch und Stühle herein, um erst mal pedantisch aus dem Textbuch vorzulesen. Zum Glück hängt rechts ein Leuchtwürfel von der Decke, der plötzlich auch zu sprechen anfängt und dazu Nebelwolken ausstößt.

Zwischendurch treten die Schauspieler in stilisierten Rokoko-Kostümen auf, und Pia Händler schleppt ein Rednerpult als Riesenkraxen auf dem Rücken herum. Ein gigantischer Vorhang mit schwarzblauem Klecksmuster wird vor der Bühnenrückwand heruntergelassen und bläht sich schließlich wie ein Segel den Zuschauern entgegen – was jedoch nicht zu der Vermutung führen sollte, dieser Abend sei nur heiße Luft. Schließlich gibt uns die Autorin am Ende ja noch tiefe Weisheiten oder (oder und) wertvolle Verbrauchertipps mit auf den Weg: „Wisse, dass du nichts weißt. Lies Packungsbeilagen.“

Wahrscheinlich hätte der Regisseur die Schauspieler nicht so vertraut-psychologisch agieren lassen sollen, als spielten sie in einem Konversationsstück. Strenge Stilisierung würde dem Text viel eher entsprechen, etwa indem er in grotesk rasendem Tempo als eine Art Dada-Performance vorgetragen würde oder als reine Wortklang-Musik oder im stampfend-brutalen Maschinenrhythmus.

Begeisterter Beifall und Getrampel.
ALEXANDER ALTMANN

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