Er lädt künftig einmal im Monat zum Gespräch: Michel Friedman diskutiert in den Münchner Kammerspielen. © Yannick Thedens
Auftakt seiner neuen Reihe: Michel Friedman diskutierte mit dem Pianisten Igor Levit (li.) am Sonntag im Schauspielhaus der Kammerspiele. © Yannick Thedens
Man möchte „nicht mehr nur die Phänomene beschreiben, sondern Denkräume gestalten und zur Verfügung stellen“, umreißt KammerspielIntendantin Barbara Mundel in ihren Einleitungsworten die Motivation für die neue Diskussionsreihe, die von ihrem Haus in Kooperation mit der Münchner Stadtbibliothek organisiert wird. Einmal im Monat wird der Publizist, Schriftsteller, Jurist und Philosoph Michel Friedman, „ein öffentlicher Intellektueller“, wie Mundel den so geistreichen wie streitbaren Mann aus jüdischfranzösischer Familie nennt, mit Menschen aus Politik und Kunst versuchen, großen Begriffen wie „Heimat“ oder „Terror“ auf die Spur zu kommen. Dabei soll es mehr um die Fragen als um die Antworten gehen, erläutert Friedman selbst, „um Widersprüche und Dekonstruktionen von Worten und Gedanken“.
„Hass“ war der Begriff, über den sich Friedman mit dem Pianisten Igor Levit, dem ersten Gast der Reihe, auseinandersetzen wollte. Die eingangs von Levit gespielte Vierte Ballade von Johannes Brahms war kaum verklungen, da befanden sich die Männer auf der Bühne schon mittendrin in der sehr ernsthaft geführten Diskussion über das Leben als Jude in Deutschland. „Ein großes Stück Verunsicherung und immer kleiner werdende Geduld“, empfindet Levit momentan. Aber solange er „den Halt der 88 schwarz-weißen Tasten habe“, gehe es ihm tendenziell gut. Allerdings sehe er dem 5. November, der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten, mit Unbehagen entgegen: „Ich habe große Sorge, dass mir meine geliebten USA wegrutschen.“ Die habe er stets als mögliche Zuflucht gesehen, wenn es in Deutschland für ihn als jüdischen Bürger zu unangenehm werden sollte. Denn hier fühle er sich angesichts der stetig steigenden rassistischen und antisemitischen Übergriffe sowie der jüngsten Wahlergebnisse nicht mehr so sicher wie vor einigen Jahren. Die Namen dieser erstarkten Parteien wolle er ganz „Lord-Voldemort-mäßig nicht einmal mehr mit Namen nennen“. Aber er beobachte, dass sich durch diese Landtagswahl-Triumphe „das Fußvolk gestärkt fühlt“. „Diese Leute auf der Straße, die sind jetzt sichtbar mutiger. Das ist sehr verunsichernd.“
Friedman pflichtet ihm bei, dass diese Furcht heute berechtigt ist, „egal ob man ein queerer, schwarzer oder jüdischer Mensch ist. Es ist konkret.“ Die Leichtigkeit des Seins, wie Friedman es nennt, die sei in den vergangenen Jahren geschmolzen. „Außerhalb des Klaviers ja“, bestätigt Levit ohne Zögern. „Aber am Klavier wird sie immer größer. Das ist mein Raum, den kann mir keiner nehmen.“ Im Alltag allerdings, schränkt Levit ein, da sei ihm mittlerweile jeglicher „Schiller-hafte Idealismus“ verloren gegangen. „Mein Wertesystem hat sich nicht geändert. Aber die Räume, in denen ich mich wohlfühle, und die Menschen, mit denen ich mich wohlfühle, sind weniger geworden. Und das nicht erst seit dem 7. Oktober.“
Wirklich erstaunt zeigen sich beide über die häufig geäußerte Verwunderung anderer zu den politischen Entwicklungen. „Hinter welchem Mond haben die gewohnt?“, fragt Levit empört. Vieles war längst sichtbar. Trotzdem sprach man immer nur von Einzeltätern, nach dem Oktoberfestattentat in München wie nach Hoyerswerda, nach Solingen, Mölln oder dem NSU. „Der Wolf hat längst sein Schafskostüm ausgezogen“, skizziert es Friedman. „Jetzt zeigt er seine blutigen Zähne.“
Das hehre „Wehret den Anfängen“, das dann stets reflexartig zitiert werde, mache sie inzwischen nur noch wütend. „Die Mehrheit der Gesellschaft muss erst spüren, dass sie bedroht ist. Nicht nur ich“, findet Friedman. Die Menschen müssten erkennen, dass man ihnen „genauso den Boden wegzieht wie uns Juden, wenn das Autoritäre überall wächst“. Müde sei er darüber geworden, stets derlei große Dinge in den Raum zu schreien, sagt Levit. Konkrete Hilfe im Kleinen, das erscheine ihm momentan sinnvoller. Alle überzeugt man nicht, darin sind sich Friedman und sein Gast schließlich einig. Aber kämpfen werden sie weiterhin.
ULRIKE FRICK
Die nächsten Termine
Am 4. November spricht Michel Friedman mit Jagoda Marinic über „Heimat“. Am 1. Dezember ist Jan Philipp Reemtsma zu Gast, es geht um „Terror“. Das Thema beim Gespräch mit Robert Habeck am 15. Januar lautet „Auschwitz –
80 Jahre nach der Befreiung“.