Er träumt den „Traum eines jeden Herausgebers“: Rufus Beck, hier mit Liliane Amuat.
Mittendrin statt nur dabei: „The Flamekeepers“ ist für die Schau über Ingeborg Bachmann im Literaturhaus konzipiert.
„Jemand wie Ingeborg Bachmann“ ergreift das Wort und erzählt von sich: Liliane Amuat während der Performance „The Flamekeepers“. © Jens Hartmann (3)
Am Ende dieses Montagabends im Münchner Literaturhaus lehnt die Frau, „jemand wie Ingeborg Bachmann“, an einer Säule in der Galerie im Erdgeschoss und betreibt „in ungeheuerlicher Geschwindigkeit Stochastik“. Weiter heißt es im Text: „Dann hat sie ein Ergebnis.“ Hier lacht die Schauspielerin Liliane Amuat, diese „Jemand wie Ingeborg Bachmann“, schlägt mit der flachen Hand auf den Stein und sagt: „Aber wir verraten es nicht.“
Daher reichen wir es an dieser Stelle nach: Das Ergebnis ist ein kluger, lustiger, kenntnisreicher, kurzweiliger, ganz und gar überzeugender Abend. Ja, diese Lese-Performance „The Flamekeepers“ war ein Experiment fürs Literaturhaus. Es ist ganz wunderbar aufgegangen. Anna Seethaler, Co-Kuratorin der aktuellen Ausstellung über Ingeborg Bachmann (1926-1973), hat die Künstlerin und Autorin Lilian Robl um einen Text zu der österreichischen Schriftstellerin gebeten. Ihren „Flammolog“ hat Robl, 1990 in München geboren, nun in der Ausstellung in Szene gesetzt – eine spannende Abwechslung zur klassischen WasserglasLesung. Denn das Ensemble von „The Flamekeepers“ reagiert auf den Raum, nutzt ihn – und ist dennoch so wenig inszeniert, dass nichts in dieser starken Stunde „theatert“. Die beiden Autorinnen und der Text stehen im Zentrum – und Robl gelingt es, sich Bachmann, über die ja reichlich Sekundärliteratur existiert, von ungewohnter Seite zu nähern.
Sie setzt ein nach dem Tod der Österreicherin 1973, die schwer verletzt in eine Klinik in Rom gebracht wurde, nachdem sie beim Einschlafen mit einer Zigarette einen Wohnungsbrand ausgelöst hatte. Die Schriftstellerin starb wenige Wochen später an Entzugserscheinungen – ihre Tablettensucht war den Ärzten unbekannt. Nach dem „mysteriösen Tod in Flammen“ stressen, schwirren, schwärmen, gurren und gieren plötzlich die „Herausgeber“ wie die Wespen, alle sind sie getrieben von den Dollar-Zeichen (Schilling? D-Mark?) in den Augen.
Allmählich lässt Robl dann „Jemand wie Ingeborg Bachmann“ Kontur gewinnen. Diese Figur behauptet sich gegen die Vereinnahmung, belächelt diese und findet ihre Stimme. Der zweite Teil gehört ihr allein. Und ausgehend vom Flammenmotiv breitet sie ihre Geschichte, ihr Denken und Fühlen vor dem Publikum aus. „Diese Feuer ist keine Feuer eurer Wissenschaften. Und doch erklärt meine Feuer brennend alles. Lesend frisst sie sich von Seite zu Seite, erklärt Journaleinträge, Durchschläge und Verlagsbriefwechsel. Die Feuer legt Schichten unter den Texten frei.“ Ja, das Feuer ist hier so was von weiblich.
Liliane Amuat aus dem Ensemble des Residenztheaters gestaltet diesen Monolog mit Empathie und Textbewusstsein. Umsichtig hält sie in dem offenen Ausstellungsraum die Balance zwischen Lesung und Spiel, sorgt dabei geschickt für Konzentration im Publikum. Wenn sie mit den in der Schau frei hängenden Bachmann-Porträts behutsam tanzt oder die Posen der Abgelichteten imitiert, dann spiegelt das nicht nur die zweite Ebene in Robls Text, sondern auch den Untertitel der Schau, „Ich bin es nicht. Ich bin’s.“ Als „Herausgeber“ sorgen die Schauspieler Rufus Beck, Philip Dechamps, Bernardo Arias Porras und David Zimmerschied zum Auftakt für ordentlich SprachGewurl – umso stärker wirkt dann der Moment, wenn sie sich zurückziehen und den Platz Amuat überlassen, die ihn leise, doch bestimmt zu nutzen weiß.
Wenn man das Licht anmacht – und bei einer Produktion, die den Titel „Flammolog“ trägt, ist diese Formulierung sehr gerechtfertigt –, wenn man also das Licht anmacht, hat der Abend tatsächlich nur einen Fehler: Es gibt bislang keine weiteren Vorstellungstermine. Das aber sollte sich ändern lassen – die Bachmann-Schau läuft schließlich noch bis 24. November im Literaturhaus.
MICHAEL SCHLEICHER