PREMIERE

Phantome der Oper

von Redaktion

„Die Zauberflöte“ als dunkles Märchen am Staatstheater Nürnberg

Von wegen Vogelfänger: Samuel Hasselhorn als ein Papageno zwischen Hahn, Joker und Mephisto, der es auf die Seelen seiner Opfer abgesehen hat. © Jesus Vallinas

Das titelgebende Instrument gibt es hier nicht. Auch keine Papageno-Flöte oder ein Glockenspiel, dafür wirft der Vogelfänger eine Handvoll Goldflitter auf die Szene. Wobei: Von Federvieh singt der Mann ebenso wenig, dafür outet sich dieses dämonische Hahn-Joker-Mephisto-Wesen als „Seelenfänger“. Ach ja: Und von eben jenem berühmten Auftrittslied wurde ihm auch noch die dritte Strophe gestrichen. Gesprochen wird außerdem recht wenig; die Dialoge, Eltern von gelangweilten Kindern wissen Bescheid, driften ja ohnehin in den Showstopper.

Es ist eine sehr andere „Zauberflöte“, die das Staatstheater Nürnberg riskiert. Nicht nur weil sich der dortige und scheidende Ballettdirektor erstmals ins Musiktheater vorwagt. Goyo Montero treibt Mozarts Superhit auch alle Putzigkeit aus, wodurch, das ist eines der wenigen Probleme, Leichtigkeit, Charme und Augenzwinkern nur in Spurenelementen vorkommen. Ergebnis ist ein dunkles, mysteriöses Märchen mit einer Rahmenhandlung. Tamino tritt uns hier im Krankenhemd gegenüber. Während der inszenierten Ouvertüre wird ein lebensbedrohlicher Vorfall angedeutet. Der Mann ist also nicht Prinz, sondern liegt in Narkose, im Koma oder schon im Jenseits.

All diese seltsamen Gestalten, die ihm in den kommenden zweieinhalb Stunden begegnen, sind folglich Visionen, Grenz- oder Nahtoderfahrungen. Bizarre Wesen, Phantome der Oper, nicht unbedingt abschreckend und gekleidet in fantasievolle Kostüme (Salvador Mateu Anduiar), bei denen Plastik der Hauptbestandteil ist: Der dauergeile Monostatos führt einen transparenten Riesenpimmel mit sich. Und zu ihrer zweiten Arie fährt die Königin der Nacht ihre aufblasbaren Stacheln aus. Nur ein Wesen gibt es, das sieht so aus wie Tamino: Pamina ist aus Regie-Sicht keine Geliebte, sondern die andere, weibliche, bessere (?) Hälfte. Mit ihr wird Tamino zum Happy End per Video-Szene vereinigt und erlebt seine Himmelfahrt. Denn Grenzen und Gegensätze, das will diese Aufführung sagen, lassen sich auch innerhalb einer Person nur mit Liebe und Einsicht überwinden.

Wem das als Thesen- und Dramaturgenfutter zu viel ist (zumal es auf der Bühne ohne Programmhefttext ohnehin nicht ganz deutlich wird), der ist in Nürnberg trotzdem nicht verloren. Man kann sich dem Abend einfach überlassen. Seiner Faszinationskraft, seinen Schauwirkungen, die aus der Reduktion gewonnen werden. Leticia Ganán und Curt Allen Wilmer (Bühnenbild) kombinieren auf nächtlicher Szenerie fahrbare Treppen zu immer neuen Szenerien. Die Videos von Alvaro Luna sind Symbolträger und Handlungstreiber. Und alles, auch die Bewegungen der Figuren, ist eingebunden in eine minutiöse, raffinierte Choreografie. So, wie es sich eben für einen Ballettmann gehört.

Die Kürzungen und kleinen Eingriffe sind mehr als sachdienlich. Generalmusikdirektor Roland Böer hat sogar an der Partitur schrauben lassen: Immer wenn‘s allgemeingültig wird, überlässt man einen Duett-Moment nicht den Solisten, der Chor darf hier die Botschaft bei hochgedimmtem Saallicht verkünden. Auch Böer ist mit der Staatsphilharmonie Nürnberg nicht aus aufs Zärteln. Sein Mozart ist al dente, hochtourig, mit gelegentlichen Widerhaken und erlaubt doch, gerade in seiner Tiefenschärfe, Einblicke in die Wunderwerkstatt des Komponisten. Dazu passt, dass das hohe Paar fast quer besetzt ist. Chloë Morgan singt eine sehr diesseitige, fast handfeste Pamina, kann ihren Sopran aber auch bündeln und flexibel halten für die Introspektion. Ähnlich Martin Platz, der sich dem Tamino von der Seite des Charaktertenors mit heldischen Momenten nähert.

Produktion gerade fürs jüngere Publikum

Seokjun Kim, als Sarastro ein archaisches Wesen zwischen Asia-Gott und Christenführer, bringt einen edlen, grobkörnigen, etwas wenig tiefenresonanten Bass mit. Martin Platz macht aus dem Monostatos ein nie karikiertes kleines Tenorgesamtkunstwerk. Sophia Theodorides ist eine lyrische Königin der Nacht. Und Samuel Hasselhorn singt fast zu schön, um an diesem Abend wahr zu sein: Sein resonanzreicher Samtbariton kontrastiert apart zum Skelett-Papageno.

Nicht jeder mag mit allem seinen Frieden schließen. Doch gerade das jüngere Publikum dürfte darauf anspringen, weil sich die Bilderwelten längst wegbewegt haben von aller Märchenlieblichkeit. Monteros Produktion entwickelt da eine generationenübergreifende Wirkung, ohne sich ranzuwanzen ans so heterogene Publikum. Kein übles Ergebnis, gerade bei der „Zauberflöte“.

Nächste Vorstellungen

am 9., 12., 14., 19.,
29. und 31. Oktober;
Telefon 0911/660 69 60 00.

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