Keinen Ausweg gibt es für Isolde (Kirstin Sharpin) aus der bedrohlichen Welt dieses Schiffs. Dennis Krauß inszenierte den Regensburger „Tristan“, Kristopher Kempf entwarf die Ausstattung. © Sylvain Guillot
Ausgerechnet. Da will man als mittleres Haus mehr als ein Zeichen setzen, mit einer überregional ausstrahlenden Wagner-Anstrengung in die neue Saison starten – und dann erkrankt der Regisseur. Dem Theater Regensburg ist das passiert, und dann auch noch bei „Tristan und Isolde“. Kurz vor Probenbeginn sprang Dennis Krauß ein und musste sich auf ein fertiges Bühnen-Setting einstellen. Der Berliner, Jahrgang 1991, hat bislang oft auf Kammerformat gearbeitet, auch schon mutig neue Formen probiert (mit der Uraufführung „Aida – der fünfte Akt“ am Theater Krefeld-Mönchengladbach etwa). Und er hat 2021 in Bayreuth für einen amüsanten Kinder-„Tristan“ (mit dem 2023 verstorbenen Stephen Gould) gesorgt. Jetzt wagt sich Krauß in Regensburg gewissermaßen an den Director’s Cut.
Doch eigentlich schmeckt diese Programmwahl ja nach anderem, nach einem Geschenk für den Generalmusikdirektor. Endlich mal weg von der kleineren Dimension am mittleren Haus, endlich das ganz große Ding drehen. Kompromisse? Egal, Augen zu und durch, erst recht durch diese Riesenpartitur. Genau das ist in Regensburg nicht passiert. „Tristan und Isolde“ am Bismarckplatz, das mag für hochgezogene Augenbrauen sorgen, treibt trotzdem manchen Wagnerianer aus dem eineinhalb Auto- und Zugstunden entfernten München an die Donau – und ist im Übrigen dort nichts Neues: Exakt vor zehn Jahren gab es die Vorgänger-Premiere dieses Stücks. Außerdem sind spätestens nach dem Vorspiel die meisten Zweifel verflogen.
Stefan Veselka entwickelt mit dem verstärkten Philharmonischen Orchester Regensburg ein großes Sensorium für die Partitur. Für ihre klanglichen Kulissenwechsel, für ihre Tempo-Relationen, für ihren vertikalen Aufbau und für die Verlagerung der Kraftfelder. Der Grundpuls ist fast durchwegs hoch, das Brio treibend: Gerade aus seinem Verständnis als Kapellmeister begreift Veselka den „Tristan“ als Theatermusik, nicht als Symphonie mit Vokalbeilage. Und wenn sich alles beruhigt, in den Nachtszenen des zweiten Akts etwa, dann klingt das nicht genießerisch, sondern wie delikate Kammermusik, die gerade in einem kleineren Haus andere, unmittelbarere Wirkung entfaltet. Ausgesprochen schön und gerundet ist das alles gespielt. Auch den Momenten, in denen Veselka das Geschehen lustvoll zuspitzt und überhitzt, zeigt sich das Orchester gewachsen – obgleich hier, ein Auge und ein Ohr zugedrückt, das Haus zu eng und klein ist für Veselkas Dramatik. Derlei Ambition funktioniert nur mit entsprechenden Solisten, respektive Gästen.
Regensburg hat sich Kirstin Sharpin geleistet. Aus einer reichen, silbern schimmernden Mittellage entwickelt sie ihre Isolde. Die Substanz dünnt sich etwas aus in der Höhe, und doch verfolgt man fasziniert ein natürliches, nie selbstverliebtes Vokalporträt. Corby Welch ist ein Tenor, der weiß, wann und wie oft er stimmlich auspacken darf. Präzise, sehr kontrolliert und textklar ist sein Tristan. In den Lyrismen trickst er nicht mit Säuseln, sondern singt mit MusterMezzavoce und in den Fieberfantasien kaum am Anschlag. Ensemblemitglied Seymur Karimov kann als Kurwenal problemlos mithalten, dank seines hervorragend projizierten Baritons gerät er nie ins Forcieren. Roger Krebs (Marke) und Svitlana Slyvia (Brangäne) fallen dagegen hörbar zurück.
Dennis Krauß, überraschend an diese große Aufgabe geraten, tut etwas Kluges und in dieser Situation oft das einzig Mögliche: Er lässt seine Sängerinnen und Sänger bei der schweren Vokalarbeit weitgehend in Ruhe. Und im zweiten und dritten Akt auch mal allein. Das führt passagenweise zu Stereotypen und Unschlüssigem. Doch gerade weil in einem Haus wie Regensburg das Singpersonal dem Publikum sehr naherückt, ist ja die vokale Geste oft entscheidender als die darstellerische. Isolde ist ins rostige Unterdeck eines Schiffes gesperrt. Ausstatter Kristopher Kempf holt alles in ein undefinierbares Heute, wo die Besatzung mit Maschinenpistolen Wache schiebt und König Marke im Kampfgetümmel (versehentlich?) den ritterlichen Kurwenal erschießt. Im zweiten Akt erscheinen die Bullaugen im bläulichen Gegenschimmer als Sternenhimmel. Und wenn dem Liebespaar das Licht des Tages droht, schalten sich Neonröhren dazu.
Immer mehr löst sich die Bühne auf
Enge, Ausweglosigkeit signalisiert das Setting, in dem die Figuren auf sich selbst zurückgeworfen sind und aus dem es kein Entrinnen gibt – nur in eine andere, vielleicht bessere Welt. Das Siechbett des tödlich verwundeten Tristan ist wie ein schnell hergerichtetes Provisorium: Dass der Held auf seiner Burg Kareol gelandet ist, scheint man ihm einzureden. Immer mehr fragmentieren sich die Wände dieser Bühne, bis zum Liebestod das Skelett der Rückwand nach oben fährt und der Hintergrund im verheißungsvollen Weiß strahlt. Wobei Dennis Krauß eine spirituelle Überhöhung verweigert. Diese Isolde ist, zum Entsetzen des übrig gebliebenen König Marke, tatsächlich gestorben.
Weitere Aufführungen
am 12., 20., 26. Oktober,
1. und 23. November
sowie am 14. Dezember;
Telefon 0941/ 507 24 24.